Schuldenstreit in den USA: John Boehner:Im Kampf mit Hobbits und Obama

"Get your ass in line!": Mit starken Worten und Pizza-Partys versucht John Boehner, die Republikaner im Schuldenstreit zusammenzuhalten. Doch es scheint fraglich, ob er die Tea-Party-Fundamentalisten dauerhaft zähmen kann. Deren radikale Verweigerungshaltung bringt die USA an den Rand des Abgrunds.

Matthias Kolb

John Boehner hat eine Aufgabe, um die ihn keiner beneidet. Der 61-Jährige aus Ohio habe den "schlimmsten Job in Washington", heißt es nicht nur in der New York Times. Der Republikaner ist als Sprecher des Repräsentantenhauses der drittmächtigste Mann Amerikas, doch zugleich muss er einen fast unmöglichen Spagat bewältigen. Einerseits soll er als verantwortungsvoller Partner mit dem Senat und dem Weißen Haus verhandeln, andererseits muss er mit seiner 240-köpfigen Fraktion US-Präsident Barack Obama Paroli bieten.

John Boehner

John Boehner, seit Januar 2011 Sprecher des Repräsentantenhauses, fordert seine Republikaner zur Einigkeit in der Schuldenfrage auf.

(Foto: AP)

Doch über die Art und Weise, wie Obama entzaubert werden soll, sind die Republikaner keineswegs einig. Viele der 87 Abgeordneten, die im Herbst neu gewählt wurden, sehen ihren Auftrag vor allem darin, alle Pläne der Obama-Regierung zu blockieren - egal ob es sich um Gesundheitsreform, Konjunkturprogramm oder die Besetzung von Richterstellen geht.

Diese freshmen werden in ihrem Kampf gegen Steuererhöhungen von der Tea-Party-Bewegung unterstützt und sind kaum zu Kompromissen bereit. Boehner wurde von manchen Hardlinern bereits dafür attackiert, dass er mit den Demokraten über Einsparungen von zwei bis vier Billionen Dollar für die nächsten zehn Jahre verhandle, um die Zahlungsunfähigkeit der größten Volkswirtschaft der Welt zu vermeiden. Ein Neuling schlug fünf Billionen Dollar in zwei Jahren vor - dabei umfasst der US-Haushalt lediglich 3,7 Billionen Dollar pro Jahr.

Geübter Strippenzieher

Boehner, der seit 20 Jahren im Repräsentantenhaus sitzt, gilt als gewiefter Verhandler. Er bekannte einst, er fühle sich "pudelwohl mit Lobbyisten". Sein Aufstieg ist einer jener Geschichten, die Amerikaner so sehr lieben. Das zweitälteste von zwölf Kindern schaffte es als erster Spross seiner Familie aufs College. Die Gebühren fürs BWL-Studium verdiente er sich als Kellner und Nachtwächter. Später wurde er in einem Verpackungsunternehmen zum Millionär, doch in diesem Job langweilte er sich nach eigenen Angaben zu Tode. 1991 gelang dem Weinliebhaber und Kettenraucher der Sprung nach Washington, seit 2006 führte er die Republikaner im Abgeordnetenhaus an.

Er gehört zu jenen Washingtoner Insidern, die den politischen Gegner zwar mit harten Bandagen und Verfahrenstricks bekämpfen, aber am Ende zum Kompromiss bereit sind. Zwei Mal waren sich Boehner und Obama in ihren als "grand bargain" bezeichneten Verhandlungen einig, doch der Republikaner bekam kalte Füße. Seine Strippenzieher-Erfahrung setzt Boehner nun eher im eigenen Lager ein, denn um am Donnerstag eine Mehrheit für seinen Sparvorschlag zu bekommen, braucht er die Stimmen der Neulinge.

Vergangene Woche lud Boehner die 87 freshmen zu einer Party mit Pizza und Chicken Wings ein. Dort warb er für seinen Plan, der vorsieht, die Schuldenobergrenze im August zunächst um eine Billion Dollar anzuheben und gleichzeitig die Ausgaben über einem Zeitraum von zehn Jahren um 1,2 Billionen Dollar zu kürzen. Damit würde die nächste Debt ceiling-Debatte auf den Winter 2012 verlagert - mitten in den beginnenden Präsidentschaftswahlkampf.

Gestern forderte Boehner die Abgeordneten seiner Fraktion auf, ihre Ränkespiele zu beenden, und pochte mit deftiger Deutlichkeit auf Einigkeit: "Get your ass in line!" Er könne nur erfolgreich mit Obama verhandeln, wenn er den Rückhalt seiner Fraktion habe, fauchte Boehner - und stellte indirekt die Vertrauensfrage. Unterstützung erhielt Boehner nun vom ehrgeizigen Fraktionschef Eric Cantor, der als Finanz-Hardliner und Sprecher der Neulinge gilt. Er sei es leid, klagte Cantor, dass in Interviews Republikaner permanent über andere Republikaner herziehen.

Offenbar zeigt der drastische Appell Wirkung: Laut New York Times und Washington Post verdichten sich die Anzeichen, dass Boehners Gesetzesentwurf wohl die Mehrheit von 217 Stimmen erhalten werde. Allerdings wird dieser Vorschlag im Senat scheitern. Am Mittwochabend machten die 51 demokratischen Senatoren mit zwei unabhängigen Senatoren ihre Ablehnung in einem Brief an Boehner publik. "Die ganze Welt schaut auf uns, wir müssen daher tun, was notwendig ist, um das Problem zu lösen", erklärten sie. Boehners Plan schiebe die Schwierigkeiten nur auf und bringe "die Vereinigten Staaten in Gefahr".

Die Hobbits der Tea-Party-Bewegung

Auf der Seite der Demokraten kämpft Harry Reid für eine Mehrheit im Senat: Sein Plan sieht massive Sparmaßnahmen vor und soll die Schuldengrenze von momentan 14,3 Billionen Dollar so weit anheben, dass die USA bis Ende 2012 ihren Verpflichtungen nachkommen können. Also konzentrieren sich Reid und Boehner darauf, ihre Macht in den eigenen Reihen zu stärken - doch zu einer Einigung führt dies nicht, da die Republikaner im Abgeordnetenhaus den Senat-Vorschlag kippen werden

Wie sich Obama, Boehner und Reid aus ihrer Sackgasse befreien soll, bleibt wenige Tage vor dem Stichtag 2. August weiterhin unklar. Eines scheint jedoch sicher: Je näher die Zahlungsunfähigkeit mit ihren unabsehbaren Folgen für die Weltwirtschaft rückt, umso größer wird die Politikverdrossenheit unter den Amerikanern. Dies ist an den Reaktionen auf das "Fuck you Washington"-Tweet des New Yorker Journalismusprofessors Jeff Jarvis abzulesen: Sie löste eine nationale Online-Demo aus, in der Bürger ihrer Wut Luft machten.

Politikverdrossenheit der Amerikaner nimmt zu

Laut einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Rasmussen Reports halten 46 Prozent die Abgeordneten für korrupt. 85 Prozent der Befragten sind überzeugt, dass die Politiker mehr daran interessiert seien, ihre Karriere voranzubringen, als sich für das Wohl anderer Leute einzusetzen. Sechs von zehn Amerikanern bewerten die Arbeit des Kongresses als "schlecht" - nur sechs Prozent stellen den Volksvertretern ein gutes Zeugnis aus.

Diese Werte dürften auch John Boehner nicht gefallen, der als Prototyp der Washingtoner Politikerkaste gelten kann. Ob es ihm gelingt, die eigenen Reihen mittelfristig geschlossen zu halten und die parteiinternen Streitigkeiten zu beenden, bleibt fraglich. Am Tag der "Get your ass in line"-Ansprache appellierte John McCain, der 2008 als Präsidentschaftskandidat gegen Obama unterlag, an die Vernunft seiner Parteifreunde. Der Senator aus Arizona nannte viele Ideen der Tea-Party-Bewegung - etwa per Verfassungszusatz einen ausgeglichenen Haushalt festzuschreiben - "bizarr und naiv" und zitierte genüßlich einen Artikel aus dem Wall Street Journal, in dem die der Tea Party nahestehenden Abgeordneten als "Hobbits" verspottet wurden.

Die Reaktion kam prompt - und dürfte den Frust der Amerikaner über die Politikerkaste weiter erhöhen. Der Abgeordnete Joe Walsh, den die Unterstützung der Tea Party in den Kongress gebracht hatte, griff McCain im Interview mit CNN frontal an: Dieser sei seit Jahrzehnten Senator und somit für den horrenden Schuldenstand mitverantwortlich. Walsh drohte offen mit dem Einfluss der Tea Party: "Schande über ihn. Er soll wissen: Wir wurden von den Wählern hierher geschickt, um die Politik zu ändern, die Leute wie er seit Ewigkeiten hier machen."

Es wird noch einige Zeit dauern, bis jemand John Boehner um seinen Job beneiden wird.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: