Schuldenkrise in den USA:Wir haben keinen, der uns da herausholt

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Die Vereinigten Staaten sind noch immer die einzige Weltmacht, aber zutiefst erschöpft. Harte Einschnitte im Budget sind notwendig - und das in einer Zeit, in der der Verfall des öffentlichen Raums bereits schockierend ist. Doch es gibt Probleme, die noch tiefer reichen.

Timothy Garton Ash

Wie viele von uns gesehen haben, schwebten vor 15 Jahren gigantische, Suppentellern recht ähnliche Raumschiffe über der Erde. Doch sie wurden vom Himmel geholt durch die genialen, unbesiegbaren, heldenhaften Streitkräfte der USA, die eine Koalition der Willigen gegen die Aliens anführten. US-Präsident Thomas J. Whitmore prahlte nachher, der amerikanische "Independence Day" - so hieß auch der Film, von dem wir sprechen - werde künftig Unabhängigkeitstag der ganzen Welt sein.

Um die Probleme der USA zu lösen, braucht Präsident Barack Obama eine Einigung quer über die Parteigrenzen hinweg. (Foto: REUTERS)

Ein Kritiker meinte übrigens, das sei der pompöseste Blödsinn gewesen, den je ein Hollywood-Reißer zu zeigen gewagt habe. Sicher, es handelte sich nur um einen Film. Aber der Blockbuster von 1996 ist auch ein Dokument seiner Zeit, in welcher Amerika überlegen, kraftvoll, unwiderstehlich zu sein schien, im Kino wie in der Politik. Das neue Rom, das sich der stärksten Armee rühmte, welche die Welt je gesehen hatte, war die einzige Supermacht in einer unipolaren Welt.

Was für einen Unterschied 15 Jahre ausmachen können. Diese mächtige Armee hat seither zwei Kriege geführt, in Irak und Afghanistan. Von keinem von beiden lässt sich behaupten, er habe mit einem überzeugenden Sieg geendet. Irak ist in den USA schon fast vergessen. "It's history" - das ist Geschichte, wie die Amerikaner sagen. Der Krieg in Afghanistan aber ist die Gegenwart.

Der Selbstmordangriff auf das Hotel Interkontinental in Kabul und die jüngsten Anschläge zeigen, wie weit das Land noch von jeder Sicherheit entfernt ist, geschweige denn von einer Demokratie. Aber trotz des Murrens seiner Top-Offiziere hat Präsident Barack Obama keinen Zweifel daran gelassen, dass die US-Truppen gemäß dem ursprünglichen Zeitplan abgezogen werden.

Probleme einer Langzeit-Großmacht

Amerika, so seine Sicht, muss sich auf seine inneren Probleme konzentrieren. Und die meisten Bürger seines Landes scheinen ihm zuzustimmen. Nach jüngsten Umfragen sind 56 Prozent der Meinung, die US-Soldaten sollten so schnell wie möglich aus Afghanistan heimgeholt werden. Kommentatoren vergleichen Obama schon mit einem anderen Führer einer Großmacht, der seine Truppen nach einem Jahrzehnt der Kämpfe zurückbrachte, um sich dann um die ökonomische Erholung im eigenen Land zu bemühen: Michail Gorbatschow.

Nun ja. Vergleicht man die USA des Jahres 2011 ernsthaft mit der Sowjetunion von 1988, dann findet man vor allem enorme Unterschiede. Vielleicht wäre ein Vergleich mit dem Britischen Empire des Jahres 1911 näher an der Wirklichkeit. Gewiss ist aber, dass die Vereinigten Staaten mit jenen wirtschaftlichen, sozialen und politischen Problemen zu kämpfen haben, die sich anzuhäufen scheinen, wenn ein Land für lange Zeit eine Großmacht war.

Manchmal denke ich, am berühmten Buch des Historikers Paul Kennedy über "Aufstieg und Fall der großen Mächte" war nur eines falsch: der Zeitpunkt, an dem es erschien, nämlich 1987, kurz bevor die Sowjetunion zusammenbrach und Japan in eine Ära der Stagnation eintrat. Selbstgewisse Amerikaner haben das Buch daher für überängstlich gehalten. Aber stellen wir uns vor, es wäre 2011 erschienen und würde China als kommende Weltmacht schildern ...

Gewiss tragen die heutigen USA die Last des strategic overstretch, die Kennedy treffend beschrieb, sie haben ihre Kräfte überspannt. Es gibt Berechnungen, nach denen die Kosten der Kriege in Afghanistan und Irak sowie anderer politischer und militärischer Reaktionen auf die Terroranschläge des 11. September 2001 für die USA umgerechnet viermal so hoch sind wie die des Zweiten Weltkriegs. Aber das Land hat sich nicht nur strategisch übernommen, sondern auch sozial.

Die Sozialsysteme der USA und der europäischen Staaten unterscheiden sich weit weniger, als die herrschende Meinung auf beiden Seiten des Atlantiks glaubt. Peter Orszag, im Weißen Haus einst zuständiger Direktor für Gesundheitswesen und soziale Sicherheit, hat berechnet, dass die Sozialkosten schon 2015 fast die Hälfte des nationalen Haushalts auffressen werden, gefolgt von den horrenden Zinsen für die Staatsverschuldung und den Verteidigungsausgaben.

Also werden die USA harte Einschnitte im Budget vornehmen müssen - und das in einer Zeit, in der die öffentliche Infrastruktur - Straßen, Eisenbahnen (gibt es überhaupt noch welche?), die Stromversorgung, die Krankenhäuser, das Schulwesen - bereits unübersehbare Spuren langer Vernachlässigung zeigt.

Ich bin jedes Mal schockiert vom Verfall des öffentlichen Raums. Aber manche Probleme reichen weit tiefer als die Schlaglöcher auf den Straßen - zum Beispiel die haarsträubenden Mängel des Erziehungswesens. In dem internationalen Pisa-Ranking stehen die USA gerade mal im Mittelfeld - nur ihre guten Universitäten erreichen noch Weltklasse.

Wenn die Stärke nachlässt

Will Amerika mit diesen Problemen fertig werden, kann das nur über Parteigrenzen hinweg geschehen. Darüber sind sich die meisten Amerikaner einig. Das ist es, was Obama in jenem kurzen, unvergesslichen Frühling seines Aufstiegs versprochen hat. Und das ist es, woran er seither gescheitert ist, teils durch eigene Fehler, vor allem aber, weil so etwas wie ein amerikanischer Supermann nötig wäre, um das festgefahrene politische System des Landes zu überwinden.

Es wurde einst auf großartige Weise mit dem Ziel entworfen, dass keine Regierung so tyrannische Macht erhalten dürfe, wie sie die britischen Kolonialherren ausübten. Aber heute sind die Zustimmungshürden im Senat und in den Einzelstaaten so hoch, dass seine Reform fast schwieriger ist als eine Revolution.

All diese Symptome der Schwäche sind aus der Geschichte bekannt. Auch Supermächte entwickeln innere Fehlstrukturen, mit denen sie noch lange Zeit leben können - solange sie eben reich und mächtig sind. Man kann das vergleichen mit einem überaus starken Athleten, der aber technische Defizite hat. Wenn seine Stärke nachlässt, braucht er die Technik plötzlich - aber es könnte schon zu spät dafür sein.

Und Amerikas berühmtes Vertrauen in die Zukunft, in die eigene Kraft, ist zutiefst erschüttert. Es war ein Senator der Republikaner, der mir sagte: "Dieses Land geht nieder wie Griechenland - nur haben wir keine Europäische Union, die die Kaution für uns zahlt, damit wir da herauskommen." Aber es gibt Hoffnung. Immerhin sind die Amerikaner aufgewacht und haben erkannt, wie tief das Loch ist, in welches das Land gefallen ist. Weniger ermutigend ist freilich: Sie können sich nicht einigen, wie sie da herauskommen sollen.

© SZ vom 20.07.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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