Schriftsteller:Houellebecq pöbelt nach dem Terror in Paris gegen Politiker

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Das Volk bestehe nicht aus "kompletten Vollidioten" - Bestseller-Autor Michel Houellebecq raucht vor Zorn. (Foto: Andreu Dalmau/dpa)

Präsident Hollande ist für den Schriftsteller ein "irrelevanter Opportunist", Premier Valls ein "geborener Trottel". Der Ausweg, den er vorschlägt: direkte Demokratie.

Von Paul Munzinger

Am 7. Januar 2015 zeigte das Satire-Magazin Charlie Hebdo auf seiner Titelseite eine Karikatur von Michel Houellebecq. "Die Weissagungen des Magiers" stand ironisch über dem Porträt des Schriftstellers, die Berichterstattung fiel wenig schmeichelhaft aus. Wenige Tage später sollte Houellebecqs neues Buch erscheinen: "Unterwerfung", die düstere Vision eines Frankreichs, das in naher Zukunft muslimisch regiert wird und die Scharia einführt.

Noch am selben Tag, dem 7. Januar, überfielen Islamisten die Redaktion der Zeitschrift und zwei Tage später einen jüdischen Supermarkt - und Houellebecqs Buch las sich plötzlich wie ein vorweggenommener Kommentar zu den Anschlägen. Zu den neuerlichen Attacken in Paris hat Houellebecq nun tatsächlich einen Kommentar geschrieben, er erschien am Donnerstag auf Italienisch im Corriere della Sera, am Freitag dann auf Englisch und Französisch in der New York Times. Über den Islam schreibt er dieses Mal nicht. Dafür demonstriert Houellebecq einmal mehr seine tiefe Verachtung für die französische Politik.

"Irrelevanter Opportunist, geborener Trottel"

Die Franzosen würden sich wieder fangen, glaubt Houellebecq, genauso wie sie sich nach den Anschlägen im Januar wieder gefangen hätten: Keine menschlicher Antrieb, nicht einmal die Angst, sei so stark wie die Gewohnheit, schreibt der Bestseller-Autor. "Man gewöhnt sich an Attentate." Das ändere aber nichts daran, dass Frankreich sich in einer "fatalen Lage" befände - und dafür verantwortlich: die Politiker.

Houellebecq macht keine Unterschiede zwischen den Parteien, er ist von Präsident François Hollande ("irrelevanter Opportunist") und Premierminister Manuel Valls ("geborener Trottel") ebenso angewidert wie von den Helden der Opposition. Für die hat er nur das Akronym "LOL" ("laughing out loud") übrig - es wird im Internet als Code für lautes Auflachen verwendet.

"Wer hat denn das Personal der Polizei so weit ausgedünnt, dass sie kaum noch ihren Auftrag erfüllen kann?", fragt Houellebecq. "Wer hat uns denn über Jahre eingetrichtert, dass Grenzen eine veraltete Absurdität seien, Ausweis eines ranzigen und widerlichen Nationalismus?" Über zehn, zwanzig oder dreißig Jahre, so Houellebecqs Fazit, hätten die französischen Regierungen ihren grundlegenden Auftrag vernachlässigt: das Volk zu beschützen.

Auf die Moralpredigten der Linken habe das Volk keine Lust mehr

Dieses Volk wiederum sei, im Gegensatz zu einer verbreiteten Vorstellung, ganz zahm und leicht zu regieren. Aber es bestehe eben nicht aus "kompletten Vollidioten". Das Volk, das weiß Houellebecq angeblich aus Meinungsumfragen, vertraue Polizei und Militär; die französischen Militäreinsätze im Ausland wiederum hätten sie seit jeher mit Argwohn betrachtet; und auf die Moralpredigten der Linken, wie denn Flüchtlinge zu behandeln seien, habe es keine Lust mehr. Doch die Politik achte bewusst darauf, das Volk nicht zu befragen.

Die Konsequenz aus seiner Diagnose könne nur eine sein: Da sich zwischen Politik und Volk ein Abgrund auftue, sei der einzige Ausweg, sich der einzigen Form echter Demokratie zuzuwenden: der direkten Demokratie.

Ein Volk, das sich Abschottung wünscht; eine abgehobene Politikerkaste, die ihm nicht zuhört; ein einfacher Ausweg, der sich auch noch nach Fortschritt anhört: Populismus bleibt auch dann Populismus, wenn er aus der Feder eines Bestseller-Autors stammt.

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