Saudi-Arabien:Telegramm für den König

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Altmodisch, aber effektiv fordern saudische Aktivisten, das Vormundschaftssystem für Frauen endlich abzuschaffen.

Von Moritz Baumstieger, München

Vor zwei Monaten brach in Saudi-Arabien eine Debatte los, zunächst vor allem auf dem Kurznachrichtendienst Twitter: Das Schlagwort "Saudische Frauen fordern die Abschaffung der Vormundschaft" wurde zum Bestimmenden in der saudischen Internetsphäre, Befürworter und Gegner von mehr Frauenrechten im Königreich stritten sich engagiert bis heftig. Das Ziel der Erstgenannten: Das Vormundschaftssystem, nach dem saudische Frauen etwa zum Heiraten, zu Reisen im In- und Ausland, zur Aufnahme eines Studiums oder einer beruflichen Tätigkeit die Erlaubnis des nächststehenden männlichen Verwandten oder später des Ehemanns brauchen, soll endlich abgeschafft werden.

Obwohl die Bevölkerung Saudi-Arabiens zu den aktivsten Nutzern von Twitter weltweit zählt, gab sich die Politik zunächst alle Mühe, die Debatte zu ignorieren. Das ist spätestens seit dieser Woche nicht mehr möglich: Die Aktivistin Aziza al-Yousef hat 14 700 Unterschriften für eine Petition gesammelt, in der die Abschaffung der Vormundschaft gefordert wird. Der eingereichte Text entstand nach dem Wikipedia-Prinzip: Jeder Nutzer durfte Änderungs- und Verbesserungsvorschläge anbringen. Um aber zu belegen, dass der Protest aus der Golfmonarchie selbst kommt und nicht aus den grenzenlosen Weiten des Internets, benutzten viele Aktivisten auch ein eigentlich antiquiertes Kommunikationsmittel: Sie schickten Hunderte Telegramme mit der Forderung an ihren König - bei Telegrammen muss in Saudi-Arabien der Absender seine Identität nachweisen und der Adressat den Empfang bestätigen.

"Unsere Botschaft ist: Frauen sollten volle Bürgerrechte haben, genau wie Männer auch", schrieb die Aktivistin al-Yousef vor der Abgabe der Petition auf Twitter. Und obwohl in der Vergangenheit nicht einmal Bemühungen erfolgreich waren, den saudischen Frauen das Autofahren zu gestatten, hat die emeritierte Professorin der Computerwissenschaften diesmal "große Hoffnungen". Denn im Prinzip nehmen die Aktivisten den Königshof nur beim eigenen Wort: Die Regierung hat dem Menschenrechtsrat der Vereinten Nationen wiederholt die Zusage gegeben, das Vormundschaftssystem abzuschaffen, zuletzt 2013. Passiert ist im Anschluss jeweils wenig - wohl auch, weil die Königsfamilie weiter auf die Unterstützung des als ultrakonservativ verschrienen Klerus angewiesen ist.

Viele saudische Geistliche verweisen auf den 34. Vers der Koran-Sure al-Nisa ("die Frauen"): "Männer stehen über den Frauen" lesen dort die Konservativen. Saudi-Arabiens Großmufti Abdulaziz al-Scheich etwa leitet aus der Sure ab, dass Frauen einer quasitotalen Kontrolle unterstellt werden müssen, eine Aufhebung der Vormundschaft sieht er als "Verbrechen gegen den Islam" und "Bedrohung für die saudische Gesellschaft". Andere interpretieren die Sure liberaler, lesen hier "Männer stehen den Frauen bei". Scheich Abdullah al-Manea etwa, Mitglied des Kreises der höchsten saudischen Islamgelehrten, betrachtet die Vormundschaft nur bei der Eheschließung als nötig, sonst aber nicht.

Aziza al-Yousef fordert nun aber mehr; sie will, dass der Monarch Abdelaziz Ibn al-Saud eine vollumfassende Aufhebung der Vormundschaft per Dekret anordnet. Am Hofe zumindest ist die Unterschriftenliste am Montag angekommen. Aziza al-Yousef twitterte ein Foto ihrer Wartemarke am königlichen Hof: Nummer 8004000000, gezogen um 10:08. Keine 20 Minuten später meldete sie Vollzug, die Petition ist eingereicht.

© SZ vom 27.09.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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