Sachsen-Anhalt:Im Dienste Ihrer Seniorität

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Wolfgang Böhmer, ehemaliger Ministerpräsident, blickt zurück auf sein politisches und privates Leben.

Von Cornelius Pollmer

Wolfgang Böhmer wurde 1936 im randsächsischen Dürrhennersdorf geboren, er kommt aus einem Land vor unserer Zeit und einer Zeit vor unserer Zeit. Wolfgang Böhmer war neun Jahre lang der Ministerpräsident Sachsen-Anhalts, daran erinnert sich Sachsen-Anhalt und daran erinnern sich ein paar politisch Interessierte, aber sonst? Wolfgang Böhmer war eine politöffentliche Person, als auch Käuze und Knochen es in der Politik nach oben schaffen konnten, als feel good und Oberfläche noch nicht dominierten. Von diesem Wolfgang Böhmer gibt es seit einer Weile einen Interviewband. Erstellt worden ist er von der Journalistin und Pressesprecherin Monika Zimmermann, die im tapferen Mitteldeutschen Verlag nun auch die Erinnerungen an ihr Berufsleben vorgelegt hat.

Ein Ex-Ministerpräsident spricht mit seiner Ex-Sprecherin über verschiedene Ehemalige und Ehemaligkeiten. Das darf einem gerne komplett egal sein - die Menschen und ihr Interesse sind da ja gnadenlos: "ehemalig", das klingt nach abgelaufenem MHD auf dem Joghurtbecher. Wenn es einem aber nicht egal ist, dann erlebt man gerade in dem Interviewband Interessantes. Das beginnt bei der fragenden Zimmermann, die in ewiger Diensttreue noch immer einen, ihren Chef befragt, respektvoll und nur leicht versteckt erinnerungsselig, zuweilen bewundernd gar. Böhmer selbst erlebt man als Emeritus, der es sich nicht mehr streng verbietet, private Gedanken und privates Leben zu erzählen. Der einerseits so nüchtern und hart auch gegen sich selbst wirkt wie eine Kleinausgabe Helmut Schmidts für den Osten Deutschlands. Der andererseits aber auch Schwächen und Härten des Alters erkennen lässt und nicht zu verbergen versucht.

Lebenszeugnisse von Politikern sind immer ein Spiegel der von ihnen durchlebten Geschichte. Böhmer spricht über die Legitimation von Schwangerschaftsabbrüchen in der DDR, er spricht über die kleinen Erfolge des Ostens nach der Wiedervereinigung und über sein eigenes Zurechtfinden im neuen Deutschland. Manchmal rutscht er dabei in den Opa-erzählt-vom-Krieg-Modus. Häufiger erweist es sich als bereichernd, wenn die lange verschlossene öffentliche Person sich private Urteile erlaubt. Andeutungsweise geschieht dies in der Beschreibung des Nicht-Verhältnisses zu Nachfolger Reiner Haseloff. Deutlicher wird es, wenn Böhmer über die Ostdeutschen en gros spricht. Er deutet den im Osten stärkeren Wohlstandsneid, in der DDR habe es schließlich keine sozialen Unterschiede geben dürfen. Das Bedauern der Ostdeutschen, nicht hinreichend gewürdigt zu werden, kann Böhmer hingegen nicht nachvollziehen: "Das halte ich für eine Art von Selbstmitleid, das nicht gerechtfertigt ist." Auch weil sich Böhmer dieses Selbstmitleid verwehrt, lohnt es, ihm zuzuhören.

© SZ vom 23.05.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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