Russland und der Kaukasus-Krieg:Das Imperium schlägt zurück

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Der Kaukasus-Krieg passt in die Logik russischer Machtpolitik - er ist aber auch ein Resultat nationaler Streitigkeiten in Georgien.

Martin Schulze Wessel

Mit dem Krieg der Waffen im Kaukasus hat der Krieg um die Deutung begonnen. Für Georgiens Präsidenten Michail Saakaschwili handelt es sich um eine Militäroperation zur "Wiederherstellung der konstitutionellen Ordnung", so rechtfertigte auch der damalige russische Präsident Wladimir Putin den Tschetschenienkrieg. Russland begründet seine Intervention nun fadenscheinig humanitär. In den öffentlichen Debatten des Westens dominiert die Interpretation, der Krieg sei ein Teil des Great Game um die Verteilung von Ressourcen.

Martin Schulze Wessel ist Professor für Geschichte an der Ludwig-Maximilians-Universität München. Zu seinen Schwerpunkten zählt die Geschichte der Imperien in Osteuropa (Foto: Foto: Andreas Heddergott)

Selbstverständlich geht es in dem Krieg auch darum, aber diese Sichtweise vereinfacht das Geschehen. Der Konflikt in Südossetien und Abchasien spielt den Interessen einer neoimperialen Politik Russlands in die Hände, doch hat er auch eine Eigenlogik, die aus der Nationalstaatsgründung Georgiens im postsowjetischen Raum resultiert.

Was Konfliktlösungen, selbst bloßes peace-keeping, in Georgien so schwer macht, ist die enge Verknüpfung von nationalen und imperialen Streitigkeiten. Am Ende der Sowjetherrschaft war Georgien ein kulturell vielfältiges Land, in dem verschiedene Ethnien um politische und kulturelle Ansprüche konkurrierten. Dem georgischen Versuch, einen kulturell einheitlichen Nationalstaat zu gründen, standen Eigenständigkeitsbestrebungen anderer Ethnien wie der Abchasier und Südosseten gegenüber.

Sowohl der Nationalstaatsgedanke der Georgier als auch das Autonomie- beziehungsweise Sezessionsstreben der Minderheiten klammerten sich dabei an die Vorstellung von festen, unverletzlichen Territorien. Paradoxerweise war dies nicht zuletzt ein Erbe des Sowjetimperiums, das seine Politik des Teilen-und-Herrschens immer auf ethnische Gruppen mit eigenen Territorien gestützt hatte.

Relativ große Völker wie die Georgier besaßen ihre Sowjetrepublik, andere konnten eine Autonomie auf Unionsebene beanspruchen, wieder andere nur eine Autonomie innerhalb der Sowjetrepubliken. Aber auch sie hatten ihr Territorium. Zur imperialen Herrschaftslogik gehörte es, dass Ethnien gegeneinander ausgespielt werden konnten, als sowjetfreundlich oder -feindlich galten und dementsprechend behandelt wurden. Das Spektrum der sowjetischen Politik reichte von der Sprachen- und Kulturförderung einerseits bis zur Umsiedlung ganzer Ethnien andererseits.

Zusätzlich zum Denken in festen Nationalterritorien wurde so auch Xenophobie einstudiert. Die Südosseten wie die Abchasen galten den Georgiern als "Knechtsvölker" des Imperiums, und tatsächlich gehörten diese am Ende der neunziger Jahre zu den letzten Verteidigern der Sowjetunion. Was niemanden erstaunen durfte, denn ihre Befürchtungen vor der kulturellen Homogenisierung Georgiens erwiesen sich etwa im Bereich der Sprachenpolitik als durchaus berechtigt. Georgien errang die Unabhängigkeit, verlor aber seine Minderheiten.

Die kosmopolitische Vielfalt der abchasischen Hauptstadt Suchumi mit ihren persischen, jüdischen und griechischen Einwohnern und ihrem am Tourismus orientierten Lebensstil in Cafés und Kasinos entsprach der Vorstellung kultureller Einheitlichkeit ebenso wenig wie die Statistik: So wie das Motto des ersten frei gewählten Präsidenten Swiad Gamsachurdia "Georgien den Georgiern" angesichts eines Bevölkerungsanteils der Titularnation von nur etwa zwei Dritteln vermessen war, so deckten sich auch bei den Minderheiten nicht Anspruch und Wirklichkeit. Die Abchasen waren in ihrem Gebiet numerisch in der Minderheit.

Lesen Sie auf der folgenden Seite, wie der Kreml Südossetien zu einem Brückenkopf in Georgien machte und was er damit vorhatte.

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Für die nationalstaatliche Konfliktlogik ist es überaus bezeichnend, dass in dieser Situation Geschichte als Argument herangezogen wurde: Historiker der Titularnation und der Minderheiten reklamierten jeweils für ihre Ethnie, früher in ihrem Siedlungsgebiet gewesen zu sein und damit über höhere historische Legitimation zu verfügen.

Vor allem Teile der georgischen Geschichtswissenschaft taten sich dabei hervor, den Minderheiten eine Art Gaststatus zuzuweisen. Kriegerische Konflikte zwischen Georgiern und den Minderheiten führten zu Flucht und Vertreibungen von Gruppen aller beteiligten Ethnien; ein Hintergrund des aktuellen Kriegs ist der Anspruch Tiflis', georgische Vertriebene in Südossetien wieder heimisch zu machen.

Moskau hat die Zerrissenheit des Landes von Anfang an durch die Unterstützung für abchasische und ossetische Unabhängigkeitsbestrebungen gefördert und im Sinne einer neoimperialen Politik ausgenutzt. Abgesehen von den kriminellen Verflechtungen, die offenbar zwischen Teilen der russischen Exekutive und den Machthabern in Südossetien bestehen, beruht die Politik Moskaus bislang auf einer geradezu klassischen Imperiumsstrategie: Mit einem Mindestmaß an Ressourcen nicht unmittelbare Herrschaft, sondern hegemonialen Einfluss zu sichern.

Diese Politik stützte sich in Südossetien auf die nach dem georgisch-südossetischen Krieg 1992 eingerichtete sogenannte Friedenstruppe von nur 1500 Soldaten, die fatalerweise nicht von unbeteiligten Staaten, sondern von den Konfliktparteien selbst - Georgien, Südossetien und Russland - unter russischem Oberbefehl aufgestellt wurde.

Für Moskau war die Friedenstruppe ein wirksames Mittel der Einflusspolitik. Südossetien, völkerrechtlich zwar nicht anerkannt, aber de facto von Tiflis unabhängig, stand seitdem unter russischem Patronat. Der Kreml besaß damit einen Brückenkopf in Georgien, mit dem er das Land destabilisieren konnte. Ein neues, unerhörtes Mittel imperialer Einflusspolitik Moskaus war seit 2006 die Vergabe russischer Pässe an die Bewohner eines völkerrechtlich nach wie vor zu Georgien gehörenden Gebiets. Während die Georgier gegenüber Russland visapflichtig waren, wurden die Südosseten als Staatsbürger in den Raum der Russischen Förderation einbezogen.

Neben der Spaltung und Destabilisierung Georgiens hatte man sich damit auch die Legitimation für eine Intervention zum Schutze "russischer Staatsbürger" verschafft. Der für sein Rechtsbewusstsein im Westen mit einigen Vorschusslorbeeren bedachte Präsident Dmitrij Medwedjew zögerte nun nicht, genau diese Begründung für die russische Intervention ins Feld zu führen. Der alten imperialen Logik entzieht sich auch Moskaus neuer Mann nicht.

Martin Schulze Wessel ist Professor für Geschichte an der Ludwig-Maximilians-Universität München. Zu seinen Schwerpunkten zählt die Geschichte der Imperien in Osteuropa.

© SZ vom 12.08.2008 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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