Russland unter Putin:Ich! Wer sonst?

Wladimir Putin entscheidet sich für einen neuen Präsidenten - für sich selbst. So bleibt Russland ein Kommandostaat, der nach dem Befehlsprinzip regiert wird. Doch das Volk entfremdet sich von Putins System: Es ist ermüdet von der Rhetorik eines blühenden Landes. Denn viel zu selten sieht es etwas davon.

Frank Nienhuysen

John Steinbeck machte 1947 gemeinsam mit dem berühmten Fotografen Robert Capra eine mehrwöchige Reise durch die Sowjetunion - West und Ost wussten jenseits der Klischees wenig voneinander. Auf seiner Erkundung des kriegszerstörten Landes saß Steinbeck einmal mit ein paar Bauern zusammen und versuchte ihnen den Unterschied zwischen Russland und Amerika zu erklären. Der amerikanische Erzähler sagte, dass die Menschen in den USA es sehr schätzten, wenn ihre eigene Regierung kontrolliert würde. Aber Steinbeck räumte in seinem Reisebuch später ein: "Ich glaube nicht, dass ich so ganz verstanden wurde." Den Menschen in Russland werde nämlich eingebläut, dass das Staatsoberhaupt gut sei, schrieb er - "hier gibt es nichts zu argumentieren".

Sechzig Jahre später funktioniert Russland noch immer nach einem ähnlichen Grundsatz: Die Menschen halten Wladimir Putin für gut, da gibt es nichts zu argumentieren.

Fromm wie die Lämmer saßen die Delegierten der Partei Einiges Russland in der betongrauen Moskauer Sportarena und hörten sich an, was die Führung zu verkünden hatte: Putin wird wieder Präsident, Dmitrij Medwedjew übernimmt das Amt des Ministerpräsidenten. Zwar gibt es vorher noch eine Wahl, aber die wird wohl nichts an der Verwirklichung des beschlossenen Plans ändern. Auch wenn beide das Gegenteil behaupten, es ist nicht nur ein Ämtertausch. Es ist das Ende des russischen Tandems.

Putins Rückkehr rückt Machtverhältnisse zurecht

Wenigstens kann man Putin in diesem Fall nicht vorwerfen, dass er unehrlich ist. Seine avisierte Rückkehr in den Kreml rückt vielmehr die wahren Machtverhältnisse wieder zurecht. Er wird eine Ära fortsetzen, die eigentlich gar nicht richtig beendet war. Verräterisch sprach der mächtigste Mann Russlands von einer Vereinbarung zwischen ihm und Medwedjew, die schon lange zurückliege, aber eben der Öffentlichkeit noch vorenthalten wurde.

In anderen Ländern wäre dies natürlich ein riesiger Skandal, in Russland aber ist es eine Selbstverständlichkeit, dass die wichtigsten Entscheidungen an den Menschen vorbei getroffen werden. Das ist gut für Putin, so wie es gut für die Abgeordneten der Regierungspartei Einiges Russland ist, dass sie mit den Mitteln der staatlichen Propaganda im Dezember die Parlamentswahl gewinnen wird. Aber es ist schlecht für Russland.

Putin wird das Land schwerlich nach vorn bringen können. Als er nach der Abstimmung auf dem Parteitag von einem Renegaten erfuhr, der mit Nein stimmte, fragte er: "Wo ist diese Person, wo ist der Dissident?" Ein kleiner Spaß war das vielleicht, und doch ein Symbol für den Kontrollwahn der russischen Herrscher.

Russland ist eine kreativitätsfreie Zone

Putins Russland ist ein unmoderner Kommandostaat, ein System der kurzen Zügel. Das größte Land der Erde wird nach dem Befehlsprinzip geführt. Einiges Russland ist keine Partei, die Ideen entwickelt. Und das Parlament ist kein Ort, an dem debattiert wird. Das mag nach dem Zerfall des Sowjetimperiums und den wirren, anarchistischen Jelzin-Jahren zum Teil noch gerechtfertigt gewesen sein. Aber nun hilft es nicht mehr weiter. Gouverneure, die von Moskau ernannt, Fernsehsender, die gezähmt, und Unternehmer, die ermahnt werden. All dies unterdrückt Offenheit und Wettbewerb, die Russland nötiger hätte denn je. Das Land war in Putins acht zurückliegenden Präsidentschaftsjahren eine weitgehend kreativitätsfreie Zone. Was an Wertschöpfung entstand, war vor allem den Rohstoffen zu verdanken. Die Rohstoffindustrien spülten viel Geld in den Staatshaushalt, und so ließ sich die Bevölkerung einigermaßen ruhig halten. Das ist jetzt anders.

Russland leidet nicht nur noch immer unter einer Wirtschafts-, sondern auch unter einer politischen Krise. Das Volk entfremdet sich von Putins System, ist ermüdet von der Moskauer Rhetorik eines blühenden Russlands, von dem es doch nur selten etwas sieht. Und so müsste Putins Partei wohl schon kräftig fälschen lassen, wenn sie ihre Zweidrittelmehrheit behalten will. Ein Fünftel aller Russen würde gern dauerhaft ins Ausland gehen, was sehr für den Westen, aber auch deutlich gegen Russland spricht - gegen Putins Russland. Die geistige Flucht und die zunehmende Widerborstigkeit gegen das eigene Land, die vor allem im Internet deutlich wird, mahnen den nötigen Umbruch an. Russland braucht mehr Freiheit, mehr Beteiligung der Gesellschaft an der Politik.

Liberale Oppositionspartei nicht zur Wahl zugelassen

Medwedjew hat dies vielleicht erkannt, seine Schlussfolgerungen aber konnte er nicht durchsetzen. Der politische Wettbewerb, den er gefordert hat, ist nicht in Sicht. Zu groß ist Moskaus Angst vor unbeherrschbarem Aufruhr, und so wird eine kleine liberale Oppositionspartei erst gar nicht zugelassen zu einer Wahl, die in Wirklichkeit keine ist. Sicher, auch China gelingt derzeit eine Symbiose aus Wirtschaftskraft und streng autoritärem Staat. Aber Peking hält seine Freigeister eben auch im eigenen Land gefangen.

Russland dagegen liegt nicht nur an den Grenzen Chinas, sondern ist zugleich auch Europas Nachbar. Und da Putin seine Bürger nun mal nach Antalya lässt, nach London und Garmisch-Partenkirchen, ist es für Russland sehr viel schwieriger geworden, mit einem System erfolgreich zu sein, das irgendwo zwischen der Schweiz und Nordkorea angesiedelt ist. Noch gibt es keine kritische Masse, aber auch Putin muss begreifen: Mehr und mehr Russen sehnen sich nach Freiheit, auch endlich im eigenen Land.

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