Regierungspartei Pis:So drangsaliert Polens Regierung die Justiz

Regierungspartei Pis: Gegen die Justizreform der Regierung wird in Polen immer wieder protestiert. Hier eine Kundgebung in Warschau im Dezember.

Gegen die Justizreform der Regierung wird in Polen immer wieder protestiert. Hier eine Kundgebung in Warschau im Dezember.

(Foto: Janek Skarzynski/AFP)

Beobachter bescheinigen dem Land inzwischen einen Rückfall in die Zeit der Sowjetjustiz. Immer mehr Richter machen die Erfahrung: Wer sich gegen die Regierung stellt, wird kurzerhand gefeuert. Manchmal einfach per Fax.

Von Florian Hassel, Krakau/Oppeln

Ende November reiste die Richterin Beata Morawiec ins Golfsultanat Oman. Mitten im Urlaub las sie eine E-Mail von einer Kollegin aus ihrer Heimatstadt Krakau. "Beata - du bist entlassen", stand darin. Polens Justizminister hatte Morawiec, Präsidentin des Krakauer Bezirksgerichts, per Fax und ohne Angabe von Gründen mit sofortiger Wirkung gefeuert. Und ihre beiden Stellvertreter gleich mit.

Mit ihrer Erfahrung ist Morawiec nicht allein: In den vergangenen Monaten hat Polens Justizminister Zbigniew Ziobro Dutzende Gerichtspräsidenten oder deren Stellvertreter entlassen. Viele dieser Richter waren für richterliche Unabhängigkeit aufgetreten - und hatten sich gegen Gesetze gewandt, die Experten zufolge polnischer Verfassung, EU-Recht und internationalen Rechtsgrundsätzen widersprechen.

Krakaus Jagiellonen-Universität ist eine von zwei führenden Kaderschmieden für Juristen in Polen, mehrere imposante Gerichtsgebäude ragen östlich der Altstadt in den Himmel. Allein Richterin Morawiec beaufsichtigte als Präsidentin des Bezirksgerichts - das in etwa einem Landgericht in Deutschland entspricht - neben dem eigenen noch zwölf Kreisgerichte, mit insgesamt 500 Richtern. "Wenn normale Polen mit der Justiz in Berührung kommen, dann bei uns", sagt Morawiec, eine lebhafte Frau mit in die Stirn fallenden blonden Haaren und schmaler brauner Brille.

Ob es um Streit mit dem Nachbarn geht oder gegen den mächtigen Bürgermeister - Justiz findet auch im polnischen Alltag in erster Linie bei den ordentlichen Gerichten mit ihren rund 10 000 Richtern statt. Erst danach geht es zur höchsten Justizebene, dem Obersten Gericht oder dem Verfassungsgericht in Warschau.

Das Verfassungsgericht wird bereits von Gefolgsleuten der Regierungspartei "Recht und Gerechtigkeit" (Pis) kontrolliert und entscheidet nur noch im Sinne der Partei. Auch das Oberste Gericht wird bald - verfassungswidrig - von Politikern kontrolliert und kann jedes in Polen seit 1997 erlassene Urteil aufheben. Die Venedig-Kommission, das weltweit führende Fachorgan für Verfassungsfragen, sieht dies als Rückkehr zur Sowjetjustiz, zu einem System ohne Rechtssicherheit.

Auch an ordentlichen Gerichten hat Justizminister Ziobro klargemacht, dass für Polens Richter eine neue Zeit begonnen hat. In Krakau führt die Familie Ziobro einen Prozess gegen vier Ärzte des Krakauer Universitätskrankenhauses. Die Ärzte waren nach Meinung der Familie Schuld am Tod von Jerzy Ziobro, dem Vater des Ministers, der 2006 nach mehreren Herzinfarkten im Alter von 72 Jahren starb. Die Staatsanwaltschaft hatte die Ermittlungen längst eingestellt, doch dann wurde Sohn Zbigniew Ende 2015 erst Justizminister, 2016 auch noch Generalstaatsanwalt und damit Vorgesetzter aller Staatsanwälte. Diese mussten die Ermittlungen gegen die Ärzte wiederaufnehmen und sie schließlich anklagen.

Wohnungen von Gutachtern, deren Expertisen die Ärzte entlasteten, wurden von der Polizei durchsucht. Die Richterin, die am von Beata Morawiec geleiteten Gericht den Prozess gegen die Ärzte führte, ließ diese entlastenden Gutachten zu. Ziobros Mutter zeigte die Richterin an, Staatsanwälte begannen mit Ermittlungen gegen die Richterin - nur wenige Tage vor der Urteilsverkündung im Ärzteprozess Anfang Februar 2017. Dem Druck zum Trotz sprach die Richterin die beschuldigten Ärzte frei: Es gebe "keinen Zusammenhang zwischen den Handlungen der Angeklagten und dem Tod" von Jerzy Ziobro. Gerichtspräsidentin Morawiec verteidigte ihre Kollegin. Die über Krakau hinaus bekannte Richterin kritisierte rechtswidrige Justizgesetze der Regierung und stellte fest, dass das Verfassungsgericht unter der Pis "nur noch eine Atrappe" sei.

Die neue Gerichtspräsidentin ist eine ehemalige Schulkameradin des Ministers

Doch Justizminister Ziobro ließ unterdessen ein weiteres Schwert schmieden, um Richter unter Kontrolle zu bekommen: Ein im Spätsommer 2017 in Kraft getretenes Gesetz erlaubte dem Minister, jeden Präsidenten oder Vizepräsidenten eines ordentlichen Gerichts fristlos und ohne Angabe von Gründen zu entlassen. Zuvor brauchte der Minister dafür nicht nur einen Grund, sondern auch die Zustimmung des Landesjustizrates, in Polen ein mit der Wahrung der Unabhängigkeit der Richter von der Politik betrautes Verfassungsorgan.

Ende November entließ der Justizminister die Richterin Morawiec als Gerichtspräsidentin - wenige Tage, bevor ihr Gericht über eine Berufung der Ziobro-Familie gegen den Ärzte-Freispruch nach dem Tod von Ziobro senior entscheiden sollte (das Urteil wurde später verschoben und steht noch aus). "Ich bin nur noch eine einfache Richterin für Wirtschaftsfälle", sagt Morawiec. Auf ihrem Schreibtisch liegt die Akte zu einem neuen Fall: mutmaßlicher Kreditkartenbetrug. Die neue Gerichtspräsidentin ist Dagmar Pawelczyk-Woicka, ehemalige Schulkameradin des Justizministers und Lebensgefährtin eines hohen Ziobro-Mitarbeiters.

"Sich die Richter untertan zu machen, hat in Polen leider eine lang zurückreichende Tradition", sagt Anna Korwin-Piotrowska, Richterin in Oppeln, einer 120 000-Einwohner-Stadt im Südwesten des Landes. "Als Józef Piłsudski, der Wiederbegründer unserer Unabhängigkeit, in den 20er-Jahren ein autoritäres System errichtete, unterstellte er Gerichte und Richter komplett der Regierung. Es war ein Aufbau, der nach dem 2. Weltkrieg auch den Kommunisten gut gefiel. Und selbst im unabhängigen Polen nach 1989 haben viele Justizminister versucht, Richter und Gerichte direkt zu kontrollieren." All diese Manöver aber, sagt sie, verblassten im Vergleich zu dem, was die Pis-Regierung seit zwei Jahren umsetzt.

Korwin-Piotrowska, seit 2012 Vize-Präsidentin des Bezirksgerichts in Oppeln, ließ sich selbst von Justizminister Ziobro nicht einschüchtern. Beim Landesrichterrat verbat sie sich die Einmischung des Ministeriums in einen laufenden Prozess und beschwerte sich offiziell über Mitarbeiter Ziobros, die ihre Vollmachten überschritten. In Warschau nahm die Richterin an Konferenzen zur Frage teil, wie unter der Pis-Regierung die Unabhängigkeit der Justiz und die Bürgerrechte gewahrt werden könnten. Seit dem Sommer 2017 protestierte sie mehrmals gegen verfassungswidrige Justizgesetze der Regierung.

Ihre Kündigung per Fax ignorierte die Richterin zunächst und erschien weiter zum Dienst

Die Quittung aus Warschau kam nach Dienstschluss am späten Nachmittag des 15. Dezember, auch in diesem Fall per Fax: Korwin-Piotrowska sei als Vizepräsidentin des Bezirksgerichts mit sofortiger Wirkung entlassen.

Doch "eine Entlassung per Fax, obendrein ohne Unterschrift, hat keinerlei Rechtskraft", sagt sie. Demonstrativ arbeitete die Richterin die folgenden Tage weiter wie zuvor. "Danach hat der Minister mich noch mal entlassen - schriftlich und per Kurier."

Auch einfachen Richtern wird klargemacht, wohin die Reise geht. In Suwalki im Nordosten Polens etwa wurden gerade Disziplanarmaßnahmen gegen Richter Dominik Czeszkiewicz eingeleitet: Der Richter hatte, entgegen anderslautenden Forderungen der Regierung, Demonstranten freigesprochen, die dagegen protestiert hatten, dass eine regierungsnahe Parlamentskandidatin in einem staatlichen Archiv eine Ausstellung über ihren Vater miteröffnete - die Demonstranten wurden wegen "Störung öffentlicher Ordnung" angeklagt. Das Vorgehen gegen Richter Czeszkiewicz solle zeigen, "was passiert, wenn Richter weiter unabhängig urteilen", sagt Beata Morawiec in Krakau. "Wer in Ruhe leben will, wird urteilen, wie es die Pis verlangt", ergänzt ihre Kollegin Korwin-Piotrowska in Oppeln.

Anna Korwin-Piotrowska und Beata Morawiec kämpfen weiter. Nachdem Minister Ziobro die Entlassung von Morawiec mit einer angeblichen Verletzung ihrer Aufsichtspflicht begründete, verklagte die Richterin den Minister wegen Rufschädigung. Auch sonst nimmt sie kein Blatt vor den Mund - und sagt etwa, dass man Polens Präsidenten Andrzej Duda wegen seiner Unterschrift unter offen verfassungswidrige Gesetze vor dem Staatsrat anklagen müsse. "Ich rechne mit allem, auch mit Disziplinarmaßnahmen", sagt sie. "Aber ich bin in einem demokratischen Rechtsstaat erzogen worden und muss dessen Regeln folgen."

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: