Regierungskrise in Rom:"Größter Kasper in Italiens politischem Puppentheater"

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Kein Parlamentsbeschluss, noch nicht einmal ein Regierungsdekret im Kampf gegen die Schuldenkrise: Italiens Premier Berlusconi kommt beim G-20-Gipfel in Cannes mit einem leeren Koffer an. Zu Hause wächst der Druck auf den Cavaliere fast stündlich: Offenbar sondiert Staatspräsident Napolitano die Möglichkeiten einer Regierungsumbildung.

Andrea Bachstein, Rom

Italiens Ministerpräsident Silvio Berlusconi ist nicht mit dem von der EU erwünschten Parlamentsbeschluss für die Krisenbekämpfung zum G-20-Gipfel nach Cannes gereist. Noch nicht einmal ein Regierungsdekret, mit dem Sofortmaßnahmen im Kampf gegen die Staatsverschuldung umgesetzt werden könnten, hatte er am Donnerstag im Koffer. Bis spät am Mittwochabend hatte das Kabinett in Rom über Reformen beraten.

Silvio Berlusconi bei seiner Ankunft beim G-20-Gipfel in Cannes: Italiens Premier steht zu Hause unter massivem Druck. (Foto: AP)

Nachdem sein Kabinett ihm die Gefolgschaft verweigert und die von ihm vorgeschlagenen Konjunkturmaßnahmen zur Verabschiedung ans Parlament verwiesen hatte, kündigte Berlusconi am Donnerstag an, die Abstimmung mit der Vertrauensfrage koppeln zu wollen. Beim G-20-Gipfel versprach er, das Votum innerhalb von zwei Wochen durchführen lassen zu wollen. Der Druck auf Berlusconi, sein Amt aufzugeben, wächst nach dem mageren Kabinettsbeschluss praktisch stündlich. Offenbar sondiert Staatspräsident Giorgio Napolitano die Möglichkeiten einer Regierungsumbildung.

Abstimmen muss das Parlament im Wesentlichen über die Schritte, die der Premier bereits in seinen Vorschlägen beim EU-Gipfel vorige Woche präsentiert hatte: Ergänzt werden soll der Entwurf eines Stabilitätsgesetzes. Drastische Maßnahmen wie eine Vermögensteuer soll es nicht geben. Steuervergünstigungen für Unternehmensgründungen und der Verkauf von Staatsbesitz gehören zu dem Paket, sowie die Anhebung des Rentenalters und die Lockerung des Kündigungsschutzes. Staatsangestellte sollen unter bestimmten Bedingungen entlassen werden können. Außerdem soll der Staat einfachere Handhabe zur Erhöhung von Abgaben oder Kürzung von Sozialleistungen erhalten.

Am Donnerstag verstärkten sich indessen die Hinweise, dass die Regierung daran scheitern könnte. Sie erweist sich seit Monaten als kaum noch handlungsfähig. Bei den Beratungen am Mittwochabend sollen Berlusconi und Finanzminister Giulio Tremonti erneut heftig aneinander geraten sein. Tremonti macht kein Geheimnis daraus, dass er es für unzureichend hält, was sein Regierungschef in Brüssel und nun in Cannes vorgelegt hat. Es heißt, der Finanzminister habe Berlusconi zum wiederholten Mal auf den Kopf zugesagt, dass dieser der wesentliche Grund für das mangelnde Vertrauen in Italiens Schuldenmanagement sei.

Dieser Vertrauensverlust drückt sich in immer neuen Rekordzinsen für italienische Staatsanleihen aus. Sie liegen nun bei 6,4 Prozent. Die Position von Berlusconi, der im Ausland ohnehin keinerlei Ansehen mehr genießt, ist auch im Land äußerst schwierig geworden. Es sträubt sich nicht nur sein Koalitionspartner Lega Nord gegen Teile des Sparprogramms.

Mögliche Revolte in Berlusconis Partei

Teile von Berlusconis Partei PDL stehen auch offenbar kurz vor der Revolte wegen Berlusconis mangelnder Führung und seiner Konzeptlosigkeit. Vor allem werden die Warnungen des Staatspräsidenten an die Regierung immer schärfer. Napolitano ermahnt sie inzwischen beinahe täglich, ihre Pflichten gegenüber Italien und Europa zu erfüllen und sofort konkrete Pläne zu präsentieren. Am Donnerstag veröffentlichte der Präsident eine Note, in der es heißt: "Die Entwicklung der nächsten parlamentarischen Handlungen werden mir erlauben, konkret den wirklichen Zustand der politischen Institutionen zu bewerten." Das bedeutet, der Staatspräsident prüft, ob die Regierung im Sinne der Verfassung noch regierungsfähig ist.

Napolitano hat in den letzten Tagen Berlusconi und Vertreter der Koalition sowie Führer der Oppositionsparteien empfangen. Wie es heißt, eruiert er die Möglichkeit von Neuwahlen und die Bereitschaft im Parlament, eine sogenannte technische Regierung zu tragen. Bei ihr würde ohne Neuwahl eine aus Experten gebildete Regierung übergangsweise fungieren. Als geeigneter Mann an ihrer Spitze wird immer wieder der frühere EU-Kommissar Mario Monti gehandelt.

Wie groß die Ungeduld im konservativen Lager ist, zeigt auch, dass der Industrielle Luca di Montezemolo am Wochenende Berlusconi offen zum Rücktritt aufforderte. Der Unternehmerverband vertritt ebenso explizit die Ansicht, die Zeit des Premiers sei abgelaufen. Und Abgeordnetenpräsident Gianfranco Fini nannte Berlusconi am Donnerstag "den größten Kasper in Italiens politischem Puppentheater".

© SZ vom 04.11.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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