Regierung:Von Putin lernen heißt siegen lernen

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Mit Druck und handfesten Drohungen treiben Russlands Behörden die Menschen zur Wahl. Eine niedrige Beteiligung wäre peinlich für den Kreml-Chef.

Von Julian Hans

Wenn alles so läuft wie vorgesehen, dann hat Russland am Montag nicht nur einen Präsidenten mit frischem Mandat, sondern auch einen neuen Eintrag im Guinnessbuch der Rekorde. Über eine Entfernung von 130 Kilometern soll eine Menschenkette im Moskauer Umland am Wahltag das Wort "Russland" bilden, so haben sich das die Organisatoren eines "patriotischen Flashmob" ausgedacht. Mehr als 10 000 Teilnehmer hätten sich schon angemeldet, teilten sie dieser Tage mit. Das Motto: "Russland - das bin ich."

Die Aktion steht beispielhaft für diese Wahl, die Wladimir Putin für weitere sechs Jahre im Kreml legitimieren soll. Ein Wettstreit um das beste Programm für die Zukunft des Landes war im ganzen Wahlkampf - wenn man ihn überhaupt so nennen möchte - nicht zu erkennen. Es geht darum, Massen zu bewegen und massenhafte Zustimmung zu inszenieren. Dabei wird offengelassen, ob diese Zustimmung dem Kandidaten gilt oder ganz allgemein dem Vaterland.

Selbst die Zentrale Wahlkommission, deren Aufgabe es ist, auf faire Bedingungen für alle Teilnehmer zu achten, stimmte in diesen Ton ein. Sie streute Schlüsselworte in ihre Wahlaufrufe, die den Bürgern aus der Propaganda des Fernsehens vertraut sind: Russlands Größe, Russlands Siege. Zur Wahl zu gehen, sei ein "Beitrag zur Zukunft unseres großen Landes", hieß es in einem Schreiben, das in den Briefkästen der Wahlberechtigten landete. "Denken Sie daran: Sie wählen, und das Land siegt!"

Wer bei dieser Wahl siegt, das ist von vornherein klar. Bei 65 beziehungsweise 69 Prozent sehen die beiden staatsnahen Wahlforschungsinstitute Wladimir Putin. Das einzige unabhängige Institut, das international angesehene Lewada-Zentrum, darf keine Ergebnisse veröffentlichen. Es wurde wegen einer Zusammenarbeit mit einer amerikanischen Universität als "ausländischer Agent" eingestuft. Am dichtesten dran an Putin ist noch Pawel Grudinin, den die Kommunisten aufgestellt haben. Aber wirklich nah kommt er dem Amtsinhaber nicht.

Der Kreml will die Wahlbeteiligung angeblich auf 70 Prozent bringen

Bei diesen Verhältnissen fragen sich viele, warum sie sich am Sonntag überhaupt die Mühe machen sollen, zur Abstimmung zu gehen. Wer für Putin ist, hat schon gewonnen, wem ein anderer Kandidat lieber wäre, der weiß, dass es aussichtslos ist. Über die Frage, wie die Russen trotzdem motiviert werden können, haben sich Experten im Kreml den Kopf zerbrochen. Weil ernsthafte Herausforderer gar nicht als Kandidaten zugelassen wurden, hat Putin es jetzt mit dem schwersten Gegner zu tun, den man sich überhaupt vorstellen kann: mit der Gleichgültigkeit der Bürger.

Um die Wahlbeteiligung auf die eindrucksvollen 70 Prozent zu treiben, die der Kreml den Gouverneuren Medienberichten zufolge im Dezember 2016 als Ziel vorgegeben hat, haben sich die Beamten allerlei einfallen lassen. Im Spektrum zwischen Locken und Zwingen ist alles dabei: Jungen Menschen, die zum ersten Mal an einer Präsidentschaftswahl teilnehmen, verspricht die Wahlkommission in Moskau Karten für Konzerte im Olympiastadion. Wer schon aus dem Alter raus ist, den Rapper Timati (und seinen Song "Mein bester Freund ist Wladimir Putin") zu hören, der kann in der Nähe einiger Moskauer Wahllokale eine Blutprobe abgeben und sie kostenlos auf sein Krebsrisiko testen lassen. Die Stadtverwaltung von Jaroslawl hat einen seit Sowjetzeiten bewährten Weg gewählt und organisiert Märkte mit verbilligten Lebensmitteln. Die Packung Nudeln für zwölf Rubel, etwa 17 Euro-Cent - so eine Gelegenheit kommt so schnell nicht wieder. Viele sind auf so etwas angewiesen; die Zahl der Armen steigt, die Regierung beziffert sie auf mehr als 20 Millionen.

Plötzlich erhielten Wissenschaftler und Ärzte eine Gehaltserhöhung um 28 Prozent

Derweil durften sich Angestellte staatlicher Hochschulen und Krankenhäuser in den ersten Monaten des Jahres über unerwartete Gehaltssprünge freuen. Dozenten und Wissenschaftler der Lomonossow-Universität hätten bis zu dreimal mehr Geld als zuvor bekommen, berichtete die Zeitung RBC. Dass das kein Einzelfall ist, zeigen Daten der Statistikbehörde Rosstat; demnach sind die Gehälter von Ärzten und Wissenschaftlern im Januar um 28 Prozent gegenüber dem Vorjahr gestiegen. Der Geldsegen war angekündigt, aber vor so langer Zeit, dass kaum jemand mehr mit ihm gerechnet hatte. Nach seiner letzten Wahl hatte Putin im Mai 2012 eine Reihe von Erlassen verabschiedet und die Regierung unter anderem beauftragt, die Gehälter von Medizinern und Wissenschaftlern deutlich anzuheben. Wegen der Wirtschaftskrise wurde nur wenig davon umgesetzt. Nun vor der Wahl wurden offenbar die letzten Reserven zusammengekratzt.

Das sind die sanften Formen der Wählermobilisierung. Vor allem Lehrer, Studenten, Mitarbeiter von Hochschulen und kommunalen Unternehmen bekommen aber auch massiven Druck. Bei den Wahlen 2011 und 2012 empörten Videos von Menschen, die ganze Packen von Stimmzetteln in Urnen stopften, kritische Russen. Diesmal sind es Berichte darüber, wie Vorgesetzte ihre Mitarbeiter zu zwingen versuchen, zur Wahl zu gehen. Angestellte müssen in Listen eintragen, wo sie wählen gehen, und zudem die Kontaktdaten von Verwandten und Bekannten aufschreiben, die mitkommen. Studenten wird angedeutet, sie könnten ihren Platz im Wohnheim verlieren oder nicht zur Prüfung zugelassen werden, wenn sie nicht die Stimmabgabe an ihrem Studienort auf vorbereiteten Formularen beantragen.

Schüler einer Berufsschule in Ulan-Ude schnitten mit, wie eine Lehrerin ihnen drohte: "Ich werde mit einer Liste warten und jeden abhaken." Wer bis zum Abend nicht erschienen sei, den werde sie "in der ganzen Stadt suchen und am Schlafittchen herschleifen". Meistens bleibt es bei der mehr oder weniger deutlichen Forderung, zur Wahl zu gehen. Seltener wird der Kandidat genannt, hinter den man seinen Haken machen soll. In sozialen Netzwerken laufen seit Wochen Diskussionen darüber, wie man mit dem Druck umgehen soll. Nicht jeder sei zum Helden geboren, schreibt etwa der Nutzer Ilja B. und hat einen Rat für die Wahlkabine: Kreuz bei Putin machen, dann das geforderte Selfie mit dem Stimmzettel für den Arbeitgeber. Danach alle anderen Kandidaten ankreuzen - der Zettel ist ungültig, und alle sind zufrieden.

© SZ vom 16.03.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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