Die Verzweiflung muss so groß gewesen sein, dass Russlands Kommunistische Partei neulich einen Mann aus dem Hut zauberte, der nicht einmal einen Mitgliedsausweis hat. Es gab ja mal eine Zeit - 1996 war das -, da versetzten die Kommunisten die Welt in Schrecken, weil ihr Kandidat es in die Stichwahl geschafft hatte - Demokratie oder Rückfall in die Steinzeit, hieß es damals plakativ. Aus beidem ist dann nichts geworden. Der Kommunist Gennadij Sjuganow verlor gegen Boris Jelzin und führte danach Russlands älteste Partei Wahl um Wahl nach unten. Nur, völlig abstürzen darf sie jetzt auch nicht, das will nicht einmal der Kreml, der frische Akzente braucht, damit das Wählerinteresse nicht ganz erschlafft. Also tritt nun Pawel Grudinin an. Einen wie ihn hat es in der Neuzeit-KP noch nicht gegeben. Jedenfalls nicht als sogenannten Spitzenkandidaten.
Grudinin ist Kapitalist und tritt zugleich als fürsorglicher Vertreter der immer ärmer werdenden russischen Arbeitnehmer an. Als Jugendlicher sammelte er Erdbeeren im Betrieb der Eltern, heute verkauft er das Obst erfolgreich wie kaum ein anderer. Der 57-Jährige gilt als Erdbeer-König, er leitet bei Moskau einen Großbetrieb namens "Lenin", was aber Etikettenschwindel ist, denn Grudinin führt das Unternehmen so marktwirtschaftlich, dass er damit locker Millionenumsätze macht. Kann der erfolgreiche Großbauer mit einem Sieg Wladimir Putin stürzen? Natürlich nicht.
Der Kreml schaut in der Regel sehr genau hin, welcher Kandidat seinen Interessen allzu gefährlich werden kann. Nach der Ablehnung von Alexej Nawalny stehen auf dem Wahlzettel für Sonntag außer Putin noch sieben weitere Namen. Grudinin ist der Kandidat, der bei den Umfragen noch am besten abschneidet. Aber auch das sind höchstens um die zehn Prozent der Stimmen. Der Kommunisten-Kandidat ist den meisten Russen nahezu unbekannt, überhaupt müssen sie sich fragen, warum sie den Bewerber einer Partei wählen sollen, die kaum etwas anderes vertritt als die Regierungspolitik.
Die Kommunisten wurden lange von Sowjetnostalgikern gewählt, doch die umwirbt Putin nun selbst
Die Kommunisten waren lange vor allem die Partei der älteren Sowjetnostalgiker; aber seitdem Putin diese Sehnsüchte selber bedient, Stalin wieder salonfähig ist und die Fundamentalkritik am Westen wieder auflebt, fehlt den Kommunisten zunehmend das Alleinstellungsmerkmal. Grudinin scheut denn auch wie die gesamte Partei direkte Kritik an Putin, zu dem er theoretisch ja eine Alternative sein soll. Dass der Kommunist nun in den staatlichen Medien mit Vorwürfen konfrontiert wurde, er bunkere Millionen auf Schweizer Konten, hebt seine Chancen natürlich auch nicht.
Wer in Russland eine andere Politik möchte, müsste von den zugelassenen Kandidaten wohl Grigorij Jawlinskij oder Xenia Sobtschak wählen. Aber auch da muss sich Putin keine Sorgen machen. Jawlinskij ist ein in Ehren ergrauter Liberaler, der in den Neunzigerjahren als politisches Großtalent galt, sehr klug, ein überzeugter Demokrat. Doch er ist dabei so stolz und auch so störrisch, dass jegliche Versuche gescheitert sind, alle liberalen Strömungen in Russland kraftvoll zu bündeln, zu deren Vertretern auch die Kremlkritiker Ilja Jaschin und Wladimir Milow zählen.