Reform von innen:Theologen gegen den Zölibat

Ein kleines Redaktionsteam aus Theologen stellt einen Reformkatalog für die katholische Kirche auf und trifft damit einen Nerv: Bislang haben 144 Professoren die Schrift unterzeichnet - und verlangen darin unter anderem das Ende des Zölibats.

Matthias Drobinski

144 Unterschriften gibt es inzwischen: von Professor Michael Albus aus Freiburg bis zu Professor Reinhold Zwick aus Münster. So viele Frauen und Männer, die an deutschsprachigen Universitäten katholische Theologie lehren, wollen nicht mehr schweigen zu jener Kirchenkrise, die sich vor einem Jahr offenbarte, als immer mehr Fälle von sexueller Gewalt gegen Kinder und Jugendliche durch Männer der Kirche an die Öffentlichkeit kamen. Sie wollen eine tiefgreifende Kirchenreform: das Ende des Pflichtzölibats, Frauen als Geistliche, Beteiligung des Kirchenvolks bei der Auswahl der Bischöfe, ein Ende des "moralischen Rigorismus", wie sie es nennen.

Zölibats-Debatte neu entbrannt

Mehr als 100 namhafte katholische Theologen fordern tiefgreifende Reformen in ihrer Kirche - unter anderem sollen Frauen und Verheiratete geweiht werden können.

(Foto: dpa)

Das acht Personen umfassende Redaktionsteam wäre auch mit 50 Unterschriften zufrieden gewesen, sagt Judith Könemann, die Religionspädagogin aus Münster, "aber offenbar haben wir einen Nerv getroffen". Seit 22 Jahren hat es keinen vergleichbaren Aufstand der Theologen mehr gegeben: 1989 protestierten mehr als 220 Wissenschaftler in der "Kölner Erklärung" "Wider die Entmündigung - für eine offene Katholizität" gegen den autoritären Führungsstil von Papst Johannes Paul II., der gegen alle Widerstände Kardinal Joachim Meisner zum Erzbischof von Köln gemacht hatte.

Es sind nun, 2011, bekannte Emeriti dabei wie Peter Hünermann und Dietmar Mieth aus Tübingen sowie die Jüngeren wie Könemann; alte Kämpfer für Kirchenreformen wie Heinrich Missalla (Essen) und Friedhelm Hengsbach (Frankfurt) sowie Konservative wie Eberhard Schockenhoff; Newcomer und Vordenker ihrer Zunft wie Otto Hermann Pesch (Hamburg) oder Hille Haker (Chicago).

Es wären noch mehr, hätten sich alle getraut, die im privaten Gespräch beteuerten, dass sie die Sache gut finden. Mancher Wissenschaftler aber steckt gerade in einem Berufungsverfahren oder weiß um den strengen Ortsbischof - und unterschreibt lieber nicht. Auch das sagt einiges über die Lage der katholischen Theologie, deren Vertreter mittlerweile häufig gute Wissenschaftler sind, aber kirchenpolitisch nicht so oft auffallen. Nun also, nach einem Jahr Krise, fordert immerhin jeder dritte der 400 katholischen Professoren die Reform.

Der Text ist vorsichtig und differenziert, lobt den Aufruf der Bischöfe zum offenen Dialog, macht sich selber Mut: "Wir sehen uns in der Verantwortung, zu einem echten Neuanfang beizutragen." Die Kernthese des Memorandums lautet: Die katholische Kirche kann nur dann "den befreienden und liebenden Gott Jesu Christi" verkünden, "wenn sie selbst ein Ort und eine glaubwürdige Zeugin der Freiheitsbotschaft des Evangeliums ist". Sie müsse "die Freiheit der Menschen als Geschöpfe Gottes" anerkennen und fördern, das freie Gewissen achten, sich für Recht und Gerechtigkeit einsetzen, natürlich dort einen flachen Freiheitsbegriff kritisieren, wo "die Würde des Menschen missachtet wird".

Zeugin der Freiheitsbotschaft

Daraus leiten die Professoren eine Reihe von Forderungen ab, die sie "Herausforderungen" nennen: Es bräuchte "mehr synodale Strukturen auf allen Ebenen der Kirche", die Gläubigen sollten an der Auswahl von Pfarrern und Bischöfen beteiligt werden. Die Kirche benötige "auch verheiratete Priester und Frauen im kirchlichen Amt", durch den Priestermangel gebe es immer mehr zu große Pfarreien; Priester würden "verheizt".

"Rechtsschutz und Rechtskultur in der Kirche" müssten "dringend verbessert werden", ein erster Schritt dazu sei "der Aufbau einer kirchlichen Verwaltungsgerichtsbarkeit". Die "Hochschätzung der Ehe und der ehelosen Lebensform" bedeutet für die 144 Theologen nicht, "Menschen auszuschließen, die Liebe, Treue und gegenseitige Sorge in einer gleichgeschlechtlichen Partnerschaft oder als wiederverheiratete Geschiedene verantwortlich leben".

"Selbstgerechter moralischer Rigorismus steht der Kirche nicht gut an", heißt es im Memorandum; sie könne nicht Versöhnung mit Gott predigen, ohne die Voraussetzung zur Versöhnung mit denen zu schaffen, "an denen sie schuldig geworden ist: durch Gewalt, durch die Vorhaltung von Recht, durch die Verkehrung der biblischen Freiheitsbotschaft in eine rigorose Moral ohne Barmherzigkeit".

"Dem Sturm des letzten Jahres darf keine Ruhe folgen!", rufen die Theologieprofessoren der Kirchenleitung zu; diese Ruhe könne "in der gegenwärtigen Lage nur Grabesruhe sein". Nun gelte es, "im freien und fairen Austausch von Argumenten nach Lösungen zu suchen, die die Kirche aus ihrer lähmenden Selbstbeschäftigung herausführen". Angst jedenfalls, so schließen die Theologen, sei in Zeiten der Krise noch nie ein guter Ratgeber gewesen. Und gerade die Christen seien "vom Evangelium dazu aufgefordert, mit Mut in die Zukunft zu blicken und - auf Jesu Wort hin - wie Petrus übers Wasser zu gehen: ,Warum habt ihr solche Angst? Ist euer Glaube so klein?'"

Ein bisschen klingt das wie für die Frauen und Männer geschrieben, die diese Erklärung unterzeichnet haben. Für den Moment, wo sie dem einen oder anderen Bischof gegenübersitzen, und der sie gefährlich sanft fragt: "Soso, Sie haben dieses Pamphlet auch unterschrieben?"

Lesen Sie das Memorandum der Theologen hier in voller Länge.

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