Rebellen im Libyen-Krieg:Panzerfäuste in der Wohnzimmerecke

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Die Finger sind zum Victory-Zeichen erstarrt, obwohl der entschlossene Vormarsch derzeit eher ein haltloser Rückzug ist: Der Rebellen-Alltag in Brega ist eine Mischung aus Todesmut und Prahlerei - die wenigen erfahrenen Kämpfer machen sich rar.

Tomas Avenarius, Brega

Brega verweigert sich auch in besseren Zeiten dem Anspruch, ein angesagter Ort zu sein: Eine Wüstenstadt, deren einzige Existenzberechtigung ihre riesige Raffinerie zu sein scheint. Hier gehen die Leute in die Ölarbeiter-Kantine, wenn sie mal richtig gut essen wollen. Jetzt ist die Stadt menschenleer. Die meisten Häuser sind angedunkelt, die Moschee ist verschlossen. Am Eingang des Krankenhauses stehen ein paar Ärzte und Pfleger, die überlegen, ob sie sofort abfahren oder doch noch ein wenig warten sollen. Es ist spät nachts. Die meisten der todesmutigen Rebellen und die noch weniger todesmutigen Reporter haben das Weite gesucht vor den vorrückenden Gaddafi-Truppen. Aber irgendwo müssen sie am Ende übernachten.

Die jungen Kämpfer, die sich gegen Gaddafis Truppen stehen, haben kaum Kampferfahrung, das Schießen lernen sie teilweise in Ein-Wochen-Kursen. Kampferprobte Rebellen gibt es nur sehr wenige und sie bleiben eher im Hintergrund. Im Bild: Rebellen auf der Straße zwischen Adschdabia und Brega. (Foto: REUTERS)

Ein einsamer Hausherr öffnet. Zur Begrüßung sagt er: "Wir sind ein reiches Land. Aber unser Ölgeld landet seit 40 Jahren in den Taschen einer einzigen Familie. Gaddafi muss weg." Hinter dem Haus gackern ein paar Hühner. In der Diele liegen olivgrüne Blechkästen mit Leuchtspurmunition, in der Wohnzimmerecke stehen kleine Panzerabwehrraketen, in zartem Hellblau lackiert. Die Söhne des Hausherren tun das, was fast alle jungen Männer im Osten des Landes tun: Sie kämpfen gegen Muammar al-Gaddafi. Es gibt Brot und Tee. Einer der jungen Männer sagt: "Diese Anti-Panzerraketen steckt man vorne aufs Gewehr. Sie reagieren auf Hitze, fliegen mindestens 500 Meter weit." Das ist gut zu wissen in einem Wohnzimmer von 25 Quadratmetern.

Unverständnis über die deutsche Regierung

Libyer sind höfliche Menschen. Auch wenn die Gäste ungebeten sind, bieten sie Haus und letztes Hemd. Aber sie sehen eben auch fern. Guido Westerwelle und Angela Merkel sind Namen, die einem gelungenen libyschen Entree in diesen Tagen eher hinderlich sind. Der Libyer sieht sich in einer Situation, die ihn fast so sehr bedrückt wie die vier Jahrzehnte dauernde Gewaltherrschaft Gaddafis: Er muss den deutschen Gast mit noch größerer Herzlichkeit begrüßen und von einem unvergesslichen Zwischenstopp auf dem Frankfurter Flughafen erzählen, aber zugleich sein verständnisvolles Unverständnis über das Verhalten der Berliner Regierung zum Ausdruck bringen. Das ist selbst für einen Libyer schwierig.

Aber man kann wenigstens zusammen Filme ansehen. Der Sohn holt sein Mobiltelefon hervor. Er hat selbst gedrehte Videos auf dem Gerät. Sie zeigen tote Gaddafi-Soldaten; zerrissen und grauenhaft verstümmelt bei den westlichen Luftangriffen liegen sie vor ihren ausgebrannten Panzern. Der zweite Film zeigt den Sohn mit einem furchterregenden Maschinengewehr: Er feuert gemein- und selbstgefährend um sich herum. Dann lässt er die Waffe glücklich sinken und formt die Finger zum Victory-Zeichen: Seine Freunde haben ihn bei den Schießübungen gefilmt.

Der Krieg in Libyen ist eigenartig: Zu sehen sind immer wieder dieselben Freizeitkämpfer, die sich mit Waffen behängen und gegenseitig ununterbrochen fotografieren. Ihre Finger sind längst zum Sieges-Zeichen erstarrt, obwohl der entschlossene Vormarsch derzeit eher ein haltloser Rückzug ist. Sie lernen das Schießen mit ihren Panzerabwehrkanonen in Bengasi in Ein-Wochen-Kursen: "Mit diesem Hebel geht das Geschützrohr nach links oder rechts, mit diesem nach oben oder unten. Wichtig ist: Nie horizontal schießen." Dass der zukünftige Panzerknacker erst 15 Jahre alt ist und rechts eine Augenklappe trägt, stimmt wenig zuversichtlich für die Sache der libyschen Revolution.

Möchtegern-Freiheitskämpfer im Che Guevara-Look

Die Ausbilder sind ehemalige Regierungssoldaten, wenn auch meist im Rentenalter. Was sie erzählen, klingt nicht nach einer Vorbildung in Sandhurst oder West-Point. Man merkt das, wenn man die Rebellen vorrücken sieht. Und auch, wenn sie fliehen. Wer wirklich kämpft gegen die Regierungstruppen - und das oft erfolgreich -, bleibt meist unklar. Es gibt erfahrene Soldaten und Offiziere unter den libyschen Rebellen. Aber sie lassen sich selten sehen. Und wenn, dann legen sie auf Fotos keinen großen Wert. Einer der vielen Regierungssprecher in Bengasi sagt dazu nur: "Die Front verläuft entlang der Straße zwischen Bengasi und Tripolis. Die Journalisten sehen, was 300 Meter links und rechts davon passiert. Aber der Krieg ist größer. Da passieren Dinge, 15 Kilometer weit von der Straße entfernt." Was das für geheimnisvolle Dinge sind, sagt er nicht.

So gehen die wirklichen militärischen Ereignisse im Krieg gegen Gaddafi unter zwischen den Möchtegern-Freiheitskämpfern im Che-Guevara-Look und den Großfamilien aus Bengasi, die mit ihren Kindern die ausgeglühten Panzerwracks an den Straßen besichtigen. Beeindruckender sind die, die die Rebellen kostenlos mit Essen versorgen: Geschäftsleute, die ihre klimagekühlten Jeeps vollladen mit Brot, Käse und Saft und zwei-dreimal am Tag von Bengasi ein paar hundert Kilometer zu den Kämpfern fahren. "Wir tun das für Libyen", sagen sie.

Der Krieg in Libyen ist ein Krieg, der permanent auf dem Mobiltelefon dokumentiert, von der Videokamera aufgezeichnet wird. Dafür ist aber das eigentliche Telefonieren ziemlich schwierig: Die beiden libyschen Mobiltelefonnetze gehören der Gaddafi-Familie. Die hat im Osten des Landes das eine Netz ganz abgestellt. Das andere funktioniert zwar noch. Es macht aber jeden Anruf zur Geduldprobe, weil es vollkommen überlastet ist.

Man kann ohnehin nur innerhalb des Landes telefonieren: Das Roaming ist längst abgeschaltet, so wie der größte Teil des libyschen Geschäftslebens. Auch die SIM-Karte für das Libyana-Telefonnetz ist ausverkauft: Wer eine haben will, kann nur noch betteln und einen der vielen auf der Uferstraße in Bengasi herumstehenden Jugendlichen ansprechen: Vielleicht verkauft er einem die Telefonkarte seiner Schwester. Das hat Einiges für sich: Der Junge macht ein ziemlich gutes Geschäft und nimmt einen für die Übergabe mit nach Hause. Da sieht man dann etwas vom wirklichen libyschen Leben. Nicht auf dem Video und ganz ohne Siegeszeichen.

© SZ vom 31.03.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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