Reaktionen auf russische Importstopps:Schwein gehabt

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Russische Importverbote: Schweine auf einer Farm in Lohne im Mai 2014 (Foto: Bloomberg)

Große Angst vor den unmittelbaren Folgen des russischen Agrar-Importstopps hat kaum ein westlicher Exporteur. Trotzdem fänden viele es ärgerlich, wenn der Markt langfristig verloren ginge. Die Hände reiben dürften sich dagegen Unternehmer aus Südamerika.

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Hans Foldenauer formuliert es vorsichtig. "Unwohl" - so habe er sich gefühlt, als er von dem russischen Importstopp für Agrarprodukte gehört habe. "Natürlich betrifft mich das auch persönlich", sagt der Milchbauer, der im Allgäu einen Hof mit 95 Kühen betreibt. "Man weiß doch, wie abhängig wir in den vergangenen Jahren von den internationalen Warenströmen geworden sind." Zumal die Preise für Milchprodukte seit Jahresbeginn ohnehin bereits "massiv gefallen" seien. Wenn Russland als Abnehmer nun komplett ausfalle, entstünden ganz schnell Überschüsse, die den Milchpreis weiter unter Druck setzten. "Nein, wenn einen im Stall so eine Nachricht von einem Importstopp erreicht, löst das nicht gerade Glücksgefühle aus", sagt der Landwirt.

Allerdings besteht auch kein Grund zur Panik. Zwar zählte Russland noch vor nicht allzu langer Zeit zu den wichtigsten Abnehmern von deutschem Käse außerhalb der EU, doch hatten die Russen die Einfuhr dieser Produkte in den vergangenen drei Jahren bereits drastisch reduziert. Lieferten die Deutschen 2011 grob geschätzt noch rund 80 000 Tonnen Käse nach Russland, so waren es 2012 nur noch 40 000 und 2013 sogar nur noch 20 000 Tonnen. Angeblich erfolgte die Drosselung aus Gründen der Lebensmittelsicherheit, doch beim Deutschen Bauernverband hält man das für vorgeschoben. Stattdessen seien bereits in der Vergangenheit "Tendenzen zur Marktabschottung erkennbar" gewesen, heißt es dort.

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"In den Protektionismus zurückgefallen"

Auch Reimer Böge, CDU-Agrarexperte im Europaparlament, stellt fest: "In den letzten Jahren ist Russland in den Protektionismus zurückgefallen." Und das gilt nicht nur für Molkereiprodukte, sondern auch für Schweinefleisch, das in der Vergangenheit ebenfalls in großen Mengen nach Russland exportiert wurde. Auch dort hatten die Russen die Lieferungen zuletzt drastisch reduziert. Der Bauernverband nimmt deshalb an, dass die jetzt angekündigten Sanktionen kaum zusätzliche negative Folgen für die Landwirte haben werden. Vinzenz Bauer, Marktexperte bei der Landwirtschaftskammer Niedersachsen, sieht das wahre Problem denn auch woanders: "Das Verheerende an dem Importstopp ist, dass dadurch die über die Jahre aufgebauten, guten Handelsbeziehungen zwischen Deutschland und Russland massiv gestört werden - und sicher nicht so leicht wieder aufzubauen sind."

Für Bundeslandwirtschaftsminister Christian Schmidt (CSU) wird damit die bisherige "konstruktive Zusammenarbeit" mit Russland "auf eine harte Probe" gestellt. Wie konstruktiv die Zusammenarbeit war, kann man daran sehen, dass die deutsche Agrar- und Ernährungswirtschaft im vergangenen Jahr Waren im Wert 1,6 Milliarden Euro nach Russland exportiert hat. Damit waren die Russen nach der Schweiz und neben den USA die zweitwichtigsten Abnehmer von Agrarprodukten jenseits der EU. Bis zu den Sanktionen.

(Foto: N/A)

"Auch andere Märkte haben relativ großen Hunger"

Diese ereilen Brüssel im sommerlichen Tiefschlaf; der Europäische Bauernverband ist unbesetzt und hat nur einen Anrufbeantworter laufen. Bei der Europäischen Kommission sind immerhin noch genug Beamte da, um als offizielle Reaktion auf die russischen Maßnahmen ein Mindestmaß an Ingrimm zu inszenieren. Die Sanktionen seien "klar politisch motiviert", sagt ein Kommissionssprecher - und betont sogleich, dass im Gegensatz dazu die "restriktiven Maßnahmen", die seitens der EU gegen Russland erhoben wurden, "in direktem Zusammenhang mit der illegalen Annexion der Krim sowie der fortgesetzten Destabilisierung der Ukraine" stünden. Die EU-Kommission sehe sich zwar weiter der "Deeskalation der Lage" in der Ukraine verpflichtet und lade alle dazu ein, sich ebenso zu verhalten. Sie behalte sich aber auch "weitere Maßnahmen" vor - im Klartext: eine Klage vor der Welthandelsorganisation WTO.

Diese war schon vor Monaten angerufen worden, unter anderem wegen des russischen Schweinefleisch-Importverbots. Gleichzeitig versuchen die Brüsseler Beamten, den russischen Sanktionen, so gut es irgend geht, die Spitze zu nehmen. Es sei ohne Frage so, dass es Auswirkungen geben werde. Aber man dürfe keinesfalls das Volumen der Exporte gleich zu Verlusten erklären, betonen EU-Experten, die nicht namentlich genannt werden wollen. Gerade der Fall des russischen Importverbots für Schweine habe aufgezeigt, dass es auch möglich sei, alternativ Abnehmer zu finden. "Auch andere Märkte haben relativ großen Hunger", sagt CDU-Mann Böge. Für den Fall der Fälle stünden durch die neue Gemeinsame Agrarpolitik Mittel bereit, um mit Geld rasch auf Marktverwerfungen reagieren zu können - eine Lehre aus dem Ehec-Skandal von 2011.

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Folgen für US-Wirtschaft überschaubar

In Washington verurteilt die Sprecherin des Weißen Hauses, Laura Lucas Magnuson, pflichtgemäß den Importstopp: "Vergeltungsschläge gegen westliche Unternehmen oder Länder werden Russlands internationale Isolation nur noch verschärfen und die eigene Wirtschaft weiter beschädigen." Die Folgen für die US-Wirtschaft indes scheinen überschaubar zu sein. 2013 lieferten amerikanische Unternehmen Nahrungsmittel und Agrarprodukte im Wert von 1,3 Milliarden Dollar nach Russland - weniger als ein Prozent der gesamten Nahrungs- und Agrarexporte. Härter wird es allerdings für die Fleischindustrie. Russland ist der zweitgrößte Importeur von US-Geflügel nach dem Nachbarland Mexiko. Acht Prozent aller Hühnchenfleisch-Exporte aus den USA gehen nach Russland. Daneben sind Sojabohnen, Nüsse und Tabak die Produkte, die Amerikaner am meisten nach Russland exportieren. Allerdings ist Russland als Absatzmarkt für amerikanische Produkte nicht entscheidend, nach Deutschland zum Beispiel exportierten die Amerikaner in den ersten sechs Monaten dieses Jahres fünfmal so viel wie nach Russland.

Und nun? In Lateinamerika dürften sich die Agrarexporteure die Hände reiben, über Nacht öffneten sich neue Märkte. Dritte Länder seien selbstredend eingeladen, den Sanktionen zu folgen, hieß es dazu in Brüssel seitens eines Kommissionssprechers. Zwingen könne man aber niemanden.

© SZ vom 08.08.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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