Reaktionen auf Atomkompromiss:"Ein neuer gesellschaftlicher Großkonflikt"

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Riesenerfolg oder schwarzer Tag für Deutschland? Kanzlerin Merkel und ihr Vize Westerwelle preisen die Laufzeitverlängerung als "epochal" - die Opposition spricht von "Klientelpolitik".

Nach einem monatelangen Atom-Poker haben sich die Spitzen von Union und FDP auf längere Laufzeiten für die deutschen Atomkraftwerke verständigt: Die Laufzeiten der 17 Meiler sollen um durchschnittlich zwölf Jahre verlängert werden.

Von der Bürgerinitiative bis zum SPD-Chef: Die Atomkraftgegner reagierten empört auf die verlängerten Laufzeiten. (Foto: Getty Images)

Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) nannte den Beschluss eine "Revolution in der Energieversorgung". "Unsere Energieversorgung wird damit die umweltfreundlichste und effizienteste weltweit", sagte die Kanzlerin in Berlin.

Bundesaußenminister Guido Westerwelle stimmte in das Lob mit ein. "Das war eine Entscheidung zum Klimaschutz von geradezu epochaler Bedeutung", sagte der Vizekanzler in Berlin. Niemals zuvor sei "eine so feste Brücke" gebaut worden in das Zeitalter der erneuerbaren Energien, fügte der FDP-Chef hinzu.

Sein Parteifreund Wirtschaftsminister Rainer Brüderle sieht in der Einigung den Beginn einer "neuen Zeitrechnung". Der Kompromiss der schwarz-gelben Koalition habe "eine neue Dimension, eine neue Qualität", sagte der Liberale im Deutschlandfunk.

Ähnlich äußerte sich Umweltminister Norbert Röttgen. Der CDU-Politiker sprach vom anspruchsvollsten Energie-Programm, dass es in Deutschland und international je gegeben habe. Der Plan trage für die nächsten 40 Jahre. "Wir überwinden die Kurzatmigkeit und Widersprüchlichkeit der Energiepolitik der vergangenen Jahre", sagte Röttgen. Er kündigte an, dass die staatliche KfW-Bankengruppe ein Förderprogramm für zehn neue Windparks im Volumen von rund fünf Milliarden Euro auflegen werde.

Positiv kam die Entscheidung beim EU-Energie-Kommissar Günther Oettinger an. Der CDU-Poltiker sieht in der Atomeinigung einen "nachvollziehbaren, fairen Kompromiss für alle Beteiligten". Dies gelte vor allem, wenn man bedenke, dass es in der Europäischen Union Länder gebe, die neue Kernkraftwerke bauten oder Laufzeiten von 60 Jahren hätten und andererseits Länder, die keine Atomkraft nutzten, sagte Oettinger bei einem Energiekongress in Müchen.

Auch in der FDP-Bundestagsfraktion begrüßte man die Entscheidung. Der energiepolitische Sprecher, Klaus Breil, sprach von einem "Riesenerfolg, den man so am Beginn der Verhandlungen nicht erwarten konnte". Man werde damit die Kernenergie als Brückentechnologie in das Zeitalter der erneuerbaren Energiequellen nutzen können.

Opposition und Atomkraftgegner reagieren empört auf den schwarz-gelben Kompromiss. Nach Ansicht von SPD-Chef Sigmar Gabriel löst die Regierung mit ihrem Vorhaben zur Laufzeitverlängerung "einen neuen gesellschaftlichen Großkonflikt aus". Die von den Grünen prophezeite These, es werde einen "heißen Herbst" geben, hält er jedoch für eine "überlebte Formel". Für ihn sei aber klar, dass eine deutliche Mehrheit der Bürger nicht wolle, dass das Kanzleramt zu einer Außenstelle der Atomlobby verkommt. Es werde wegen der Nichtbeteiligung des Bundesrates beim Prozess der Laufzeitverlängerung Verfassungsklage erhoben.

Gabriel legte inzwischen nach. Bei der geplanten Verlängerung der Laufzeiten von Atomkraftwerken handele es sich um den besten Beweis für "Klientelpolitik", der SPD-Vorsitzende beim Gillamoos-Volksfest im niederbayerischen Abensberg. "So dreist ist in Deutschland noch nie der Eindruck erweckt worden, Politik sei käuflich." Gabriel attackierte auch Bundesumweltminister Röttgen persönlich. Der CDU-Politiker sei "als schwarz-gelber Tiger gestartet und als begossener Pudel gelandet".

Der Bundestags-Fraktionschef der Grünen, Jürgen Trittin, befürchtet angesichts des schwarz-gelben Kompromisses eine Atomkraftnutzung bis zum Jahr 2050. Er sagte der Hessischen/Niedersächsischen Allgemeinen, erst in etwa 40 Jahren ginge nach den Regierungsplänen das letzte Atomkraftwerk vom Netz. "Auch unsere Kinder und Enkel hätten dann noch mit dieser gefährlichen Technologie zu tun." Trittin begründete seine Berechnung fogendermaßen: "Von den alten Atomkraftwerken könnten die Betreiberfirmen Strommengen auf neuere Anlagen übertragen. Einzelne Meiler dürften dann noch mehrere Jahrzehnte Strom produzieren."

"Ein unerträglicher Lobbyismus"

Linke-Chefin Gesine Lötzsch kritisiert die Entscheidung: "Der schwarz-gelbe Atomdeal trägt die Handschrift der Atomkonzerne. Die Stromlobby hat sich in entscheidenden Fragen durchgesetzt." Die Atomkonzerne dürften mit abgeschriebenen Meilern billig Strom produzieren, ihn teuer verkaufen und die Gewinne zu großen Teilen einstecken. "Dem Deal fehlt jede soziale Komponente. Noch nicht einmal eine gesetzliche Verpflichtung zu Stromsozialtarifen konnte Merkel den Konzernbossen als Gegenleistung abringen", so Lötzsch weiter.

Linke-Fraktionschef Gregor Gysi warf der Koalition "Beschädigung der Demokratie" vor. Es werde nur das geschehen, was die Atomindustrie billige. "Das ist ein unerträglicher Lobbyismus", sagte Gysi.

Christoph Bautz von der Umweltinitiative Campact erklärte: "Mit längeren Laufzeiten will Merkel die Menschen einem mit dem Alter der Atommeiler zunehmenden Sicherheitsrisiko aussetzen, nur um den Stromkonzernen milliardenschwere Extraprofite zu sichern."

"Schwarzer Tag für Deutschland"

Die Umweltorganisation Greenpeace ging noch einen Schritt weiter: Sie bezeichnete die Einigung der schwarz-gelben Koalition als "schwarzen Tag für Deutschland". "Eine unverantwortliche Entscheidung", sagte Atomexperte Tobias Münchmeyer. Allein Tausende Tonnen an zusätzlichem Atommüll würden dadurch anfallen. "Die Laufzeitverlängerung ist ein reines Geldgeschenk der Regierung. Sie schadet Deutschland und nutzt den Konzernen", so Münchmeyer.

Der Bundesverband Erneuerbare Energie kritisierte in der Frankfurter Rundschau: "Jetzt ist die Katze aus dem Sack, und die schwarz-gelbe Regierung zeigt, wie rückschrittlich sie in Energiefragen ist." Dass die Kernkraftwerke bis zu 14 Jahre länger am Netz blieben, behindere den Ausbau der erneuerbaren Energien und koste deshalb langfristig sogar Geld.

"Politischer Müll"

Der Sprecher der Bürgerinitiative Umweltschutz, Wolfgang Ehmke, sagte, die Regierung sei sich vor allem darin einig gewesen, die Profitinteressen der Konzerne zu bedienen. Die Gorleben-Gegner rufen angesichts dieser politischen Zuspitzung zur Demonstration in Berlin am 18. September auf: "Wir müssen auf diesen politischen Müll, der in Berlin verzapft wird, reagieren und werden auch in Berlin demonstrieren."

Auf die Ankündigung der SPD, gegen die getroffene Regelung, die nicht dem Bundesrat vorgelegt wird, vor dem Bundesverfassungsgericht zu klagen, reagierte Wirtschaftsminister Rainer Brüderle gelassen: "Das ist sehr sorgfältig geprüft worden, dass man sich auf sicherem Terrain bewegt."

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