Rätsel der Woche:Dürfen Bürger einen anderen Menschen fesseln?

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Unter ganz bestimmten Umständen lautet die Antwort ja. Der Fall im sächsischen Arnsdorf, wo vier Männer einen Iraker an einen Baum banden, liegt jedoch völlig anders.

Von Jan Heidtmann

Seit dem vergangenen Donnerstag löst ein im Internet verbreitetes Video Empörung aus. Darin hat ein irakischer Flüchtling im sächsischen Arnsdorf eine verbale Auseinandersetzung mit Verkäuferinnen eines Supermarkts, als vier Männer den Mann auf sehr ruppige Art packen. Als dieser sich wehrt, verprügeln sie ihn und - dies ist nicht im Video zu sehen - schleppen ihn nach draußen, wo sie den Mann mit Kabelbindern an einen Baum fesseln.

"Durch die Erregtheit des Asylbewerbers war das Festhalten sinnvoll, ich tu mich schwer zu sagen, notwendig", kommentierte der Görlitzer Polizeipräsident Conny Stiehl den Vorfall. Einer der beteiligten Männer, das CDU-Gemeinderatsmitglied Detlef Oelsner, sagt: "Wir haben Zivilcourage gezeigt."

Das Fesseln und damit die Freiheitsberaubung eines anderen Menschen ist ein gravierender Eingriff in die Grundrechte. Die Konsequenzen sind in Paragraf 239 des Strafgesetzbuchs (StGB) bestimmt: "Wer einen Menschen einsperrt oder auf andere Weise der Freiheit beraubt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft." Eine Ausnahme von dieser Vorschrift ergibt sich für den Bürger durch das sogenannte Jedermannsrecht, das im Paragrafen 127 der Strafprozessordnung (StPO) geregelt ist: "Wird jemand auf frischer Tat betroffen oder verfolgt, so ist, wenn er der Flucht verdächtig ist oder seine Identität nicht sofort festgestellt werden kann, jedermann befugt, ihn auch ohne richterliche Anordnung festzunehmen."

Misshandlung statt Zivilcourage

Die Regelung ist jedoch an enge Voraussetzungen geknüpft: Sie darf nicht präventiv angewendet werden, es muss also eine Straftat unmittelbar vorangegangen sein.

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Sind die Bedingungen des Paragrafen 127 erfüllt, darf der Betroffene - wenn unbedingt nötig - fest angepackt und auch gefesselt werden. Der irakische Flüchtling in Arnsdorf hatte jedoch weder eine Straftat begangen, noch ist er von sich aus gewalttätig geworden. Ihn zu fesseln war keine Zivilcourage, sondern eine Misshandlung.

© SZ vom 04.06.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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