Prozess gegen spanischen Richter:Garzón verteidigt Ermittlungen zu Franco-Verbrechen

Lesezeit: 2 min

Der bekannte Ermittlungsrichter Baltasar Garzón wollte die Gräueltaten der Franco-Diktatur untersuchen - nun muss er sich wegen Rechtsbeugung vor Gericht verantworten. Garzón sagt: "Ich habe ein ruhiges Gewissen." Gleichwohl drohen ihm bis zu 20 Jahre Berufsverbot. Doch im Falle einer Verurteilung würde wohl nicht nur er einen hohen Preis zahlen, sondern auch Spanien.

Javier Cáceres

Eigentlich rät Gonzalo Martínez-Fresnada seinen Klienten immer ab, in Prozessen vom Recht auf ein Schlussplädoyer Gebrauch zu machen. Doch dem Madrider Anwalt war schon vor Wochen klar, dass dieser Mandant garantiert das Wort ergreifen würde: der spanische Ermittlungsrichter Baltasar Garzón, weltweit als Tyrannen-Jäger bekannt, seit er 1998 den chilenischen Diktator Augusto Pinochet in London verhaften ließ.

Unterstützer Baltasar Garzóns fordern auf Schildern "Gerechtigkeit" und monieren: "Spanien, der falsche Weg: Korrupte und Faschisten machen den Richter zum Gerichteten", als der Ermittlungsrichter zum letzten Verhandlungstag vor Spaniens Oberstem Gerichtshof erscheint. (Foto: AP)

Seit gut zwei Wochen wird gegen Garzón vor Spaniens Oberstem Gerichtshof prozessiert, zwei ultrarechte Organisationen hatten ihn wegen angeblicher Rechtsbeugung verklagt, weil er die Gräueltaten aus der Zeit des spanischen Bürgerkriegs und der folgenden Franco-Diktatur (1936 bis 1975) untersuchen wollte; Garzón drohen bis zu 20 Jahre Berufsverbot. Er habe, so sprach Garzón zum Abschluss der Hauptverhandlung, nichts Unrechtes getan. Er habe dem Recht und Gesetz entsprechende Beschlüsse gefasst, um im Sinne der Opfer zu handeln. "Kant sagte, das Gewissen sei der innere Gerichtshof des Menschen. Ich habe ein ruhiges Gewissen", fügte Garzón hinzu.

Zu den Paradoxien des Prozesses gegen den umtriebigen Juristen zählte nicht zuletzt die Tatsache, dass Angehörige von Opfern der Franco-Schergen die Geschichten ihres Leidens vor einem Gericht erzählen durften - zum ersten Mal in der Geschichte Spaniens überhaupt. Historiker, alte Frauen, Greise und Enkel berichteten von Folterungen und Exekutionen, von Massengräbern, in die man ihre Vorfahren wie Hunde geworfen hatte. Nicht zu Hunderten, zu Zehntausenden. Nur ein Land auf der Welt soll eine größere Zahl an ungehobenen Massengräbern haben: Kambodscha.

Deswegen, so sagten sie den Richtern, hätten sie sich ab 2006 an den Ermittlungsrichter Garzón gewandt. "Wir wollten, dass die Justiz so handelt, wie sie es bei jedem anderen Verbrechen tut - wenn jemand gefoltert und mit zwei Kugeln im Kopf in einem Straßengraben liegengelassen wird", sagte Emilio Silva, der vor Jahren auf eigene Faust das Schicksal seines getöteten Großvaters aufzuklären suchte und einen Verband zur Aufarbeitung der Franco-Diktatur leitet.

Garzóns Ansatz war, dass es sich möglicherweise um Verbrechen gegen die Menschlichkeit handelte, die nicht verjähren. Es gibt Juristen, die das anders sehen, und es gibt Juristen, die dem zustimmen. Dass Garzóns Interpretation aber Rechtsbeugung darstellen könnte, hält zumindest die Staatsanwaltschaft für hanebüchen. Sie war von vorneherein gegen den Prozess. Gleichwohl könnte Garzón tatsächlich in wenigen Wochen mit Berufsverbot belegt werden.

Spannend wird es in jedem Fall. Einerseits wissen die Richter nur zu gut, dass sie unter einer beispiellosen internationalen Beobachtung stehen. Menschenrechtsorganisationen wie Amnesty International und Human Rights Watch haben offizielle Prozessbeobachter entsandt.

Ein Gericht im fernen Argentinien wird im Wege der internationalen Gerichtsbarkeit einen Prozess eröffnen, wenn Spanien die Gräueltaten nicht verfolgt - derweil in Spanien ein Richter verurteilt wird, der die gleichen Verbrechen untersuchen wollte? "Jämmerlich und lächerlich" wäre das, ereiferte sich der Staatsanwalt in seinem Schlussplädoyer.

Er betonte, dass eine Verurteilung Garzóns "verheerende Auswirkungen" auf die Unabhängigkeit der Richter hätte. Sie würde das Signal aussenden, nur eine orthodoxe Interpretation des Rechts sei zulässig, Minderheitenmeinungen hingegen seien illegal.

Andererseits besteht die Möglichkeit, dass die Richter den politischen Preis, den sie im Falle einer Verurteilung Garzóns zahlen müssten, längst einkalkuliert haben. Spaniens Justiz würde international dramatisch an Ansehen verlieren.

"Dieser Prozess hätte nie stattfinden dürfen", befand die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch, doch die Möglichkeit, ihn abzuwenden, ließen die Richter verstreichen. Nun müssen sie ein Urteil formulieren, dessen Veröffentlichungstermin noch unbekannt ist.

© SZ vom 09.02.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: