Proteste in der Türkei:Erdoğan schärft die Twitter-Waffe

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Gegenoffensive auf Twitter - Türkeis Premier Erdoğan will den Kurznachrichtendienst im Wahlkampf nutzen. (Foto: REUTERS)

Er bezeichnete Twitter als "Bedrohung" sowie als Quelle von Lügen und Übertreibungen. Angesichts der Proteste gegen seine Regierung will der türkische Premier Erdoğan den Kurznachrichtendienst und Facebook jetzt zum eigenen Vorteil nutzen. Seine AKP stellt dazu ein 6000 Mitglieder starkes Team auf.

Von Ayla Albayrak und Joe Parkinson, Wall Street Journal Deutschland

Die türkische Regierungspartei AKP rüstet sich mit Hilfe von Twitter, Facebook und Instagram gegen neue Massenproteste im Land. Sie stellt nach eigenen Angaben gerade ein 6.000 Personen starkes "soziales Medienteam" zusammen, das Kritiker von Ministerpräsident Recep Tayyip Erdoğan mit ausgewählten Nachrichten und Fotos besänftigen soll.

Die Regierung betritt mit dem Vorstoß Neuland - bisher beherrschte die türkische Opposition das Spiel mit sozialen Medien. Schrittweise will die AKP jetzt junge, technikerfahrene Parteimitglieder in Ankara als freiwillige "soziale Medienvertreter" schulen. Sie sollen Parteipropaganda vor allem über den Kurznachrichtendienst Twitter und das soziale Netzwerk Facebook verbreiten, aber auch über den Fotodienst Instagram und die Videoseite Youtube.

Ziel sei es, die Ansichten der Partei zu fördern und Diskussionen im Internet zu überwachen, sagt ein Parteivertreter. "Wir wollen eine positive politische Sprache entwickeln, das ist es, was wir unseren ehrenamtlichen Helfern beibringen", sagt ein ranghohes Parteimitglied, das die Kampagne organisiert. "Und wenn das Oppositionslager falsche Informationen über die Partei verbreitet, korrigieren wir das mit richtigen Informationen und verwenden dabei immer eine positive Sprache."

Es kommt nicht von ungefähr, dass sich die AKP um ein positiveres Bild in der Öffentlichkeit bemüht. Im Juni war die Partei, die seit 2002 die türkische Regierung stellt, zur Zielscheibe regierungskritischer Demonstranten geworden. Hunderttausende von Türken gingen auf die Straße, um gegen den in ihren Augen zunehmend autokratischen Regierungsstil von Ministerpräsident Erdoğan zu protestieren. Dabei setzten sie gezielt Twitter und andere soziale Dienste ein, um ihre Kampagnen zu organisieren und die Zensur der Regierung zu umgehen.

Für viele Türken war es das erste Mal, dass soziale Medien eine Rolle als gültige Nachrichtenquelle spielten. Bei den Massendemonstrationen, die sich im Gezi-Park in Istanbul entzündet hatten und deshalb als "Gezi-Proteste" bekannt sind, kamen sechs Menschen ums Leben. Tausende wurden festgenommen - unter anderem, weil sie kritische Kurznachrichten über Twitter verschickt oder sich in ähnlicher Form auf anderen sozialen Medien engagiert hatten, sagen türkische Anwälte und Menschenrechtsverfechter.

Erdoğan hat selbst 3,4 Millionen Follower

Gegen Ende des Sommers ebbten die Proteste ab, aber jüngst sind kleinere Demonstrationen wieder aufgeflackert. Einige Türken glauben, dass diese größer werden, je näher der Termin der Lokal- und Präsidentschaftswahlen im nächsten Jahr rückt. Nach Ansicht von Analysten hat die Social-Media-Kampagne der Opposition die Regierung zu einem Umdenken gezwungen. Diese hat offensichtlich verstanden, dass sie vor den Wahlen soziale Medien gezielter einsetzen muss - auch wenn Meinungsumfragen zeigen, dass die AKP wohl die Wahlen gewinnen wird.

"Die AKP-Partei war völlig unvorbereitet angesichts der Explosion sozialer Medien während der GeziProteste", sagt Eylem Yanardagoglu, Kommunikationswissenschaftlerin an der Universität Kadir Has in Istanbul. Dieses Manko wolle die AKP jetzt vor den Wahlen beheben, sagt Yanardagoglu. Premier

Erdoğan, dem selbst 3,4 Millionen Menschen auf Twitter folgen, hat den Kurznachrichtendienst mehrfach scharf kritisiert und als "Bedrohung" sowie als Quelle von Lügen und Übertreibungen bezeichnet. Inmitten der Proteste hatten türkische Minister angekündigt, sie würden Twitter schärferen Vorschriften unterwerfen, aber in der vergangenen Woche schwenkte Erdoğan um. Er deutete an, er werde versuchen, den Dienst nun zu seinem Vorteil zu nutzen. Außerdem sagte er, Twitter könne Jugendlichen eine Plattform sein, um "die Wahrheit zu sagen".

Die neue Propagandainitiative soll sich vor allem auf jene Städte konzentrieren, in denen die regierungskritischen Proteste und die damit verbundene Nutzung sozialer Medien am stärksten waren. 1000 Parteimitglieder sollen ihren sozialen Medienauftrag künftig in Istanbul erfüllen, 600 in Ankara und 400 in Izmir. Der Rest des neuen Teams wird sich im übrigen Land verteilen.

© WSJ.de vom 17.09.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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