Profil:Valery Gergiev

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Dirigent und Instrument russischer Propaganda, diesmal in Palmyra.

Von Sonja Zekri

Heimspiel, Gastspiel, aber Valery Gergievs Botschaft ist immer dieselbe: Russland ist groß, Wladimir Putin ist stark, und klassische Musik dient dazu, diese Botschaft in die Welt zu tragen. So war es im August 2008 im südossetischen Zchinwali, und so war es am Donnerstag im syrischen Palmyra. Damals wie heute flog Gergiev mit dem Mariinsky Orchestra aus Sankt Petersburg an einen Ort, den russische Truppen frisch befreit hatten. Und er dirigierte.

Dabei erklärt das Heimspiel in Zchinwali vieles, was der Westen, vor allem München, an Valery Gergiev rätselhaft und etwas befremdlich findet. Gergiev ist heute Chef der Münchner Philharmoniker, aber gebürtiger Ossete, Angehöriger eines Volkes im Kaukasus also, das einen Großteil seiner Geschichte damit verbracht hat, sich gegen eine übermächtige Umgebung durchzusetzen: vor allem gegen Georgien im Süden, aber auch gegen die muslimischen Republiken. Der mächtigste, zuverlässigste, geradezu natürliche Verbündete war immer Russland. Dass die Bolschewiken Ossetien geteilt haben, in eine russische Provinz Nordossetien und eine georgische Provinz Südossetien, ändert daran nichts, war aber hin und wieder Grund für Spannungen, Gefechte, Kriege - wie jenen kurzen, schrecklichen vom August 2008.

Gergiev ist in Moskau geboren, wuchs aber in Südossetien auf, ehe er als Musiker wiederum im damaligen Leningrad lernte und aufstieg. Als Georgien seine abtrünnige Provinz Südossetien bombardierte, Russland den Osseten zur Hilfe eilte, Zchinwali befreite und zum Konzert auf den Stufen einer Ruine aus ganz anderem, vergangenem Kriege lud, da war dieses Heimspiel für Gergiev eine Herzenssache, das spürte man. Er spielte - fast könnte man sagen selbstverständlich - Schostakowitschs "Leningrader Symphonie", die der Komponist im belagerten Leningrad geschrieben hatte, ein Werk des Widerstands, ein Triumph der Kunst über die Barbarei. In Zchinwali wurde sie auch zum Triumph der Propaganda.

Für die befreiten Osseten lag in dem Auftritt dennoch eine große Wahrhaftigkeit, die man in Gergievs Auftritt von Palmyra nur sehr schwer findet. Auch in Syrien war der Ort hochsymbolisch: Palmyra war ein Jahr vom sogenannten Islamischen Staat besetzt, beschädigt, geplündert, und erst im März von russischen und syrischen Truppen befreit worden. Hinter den Musikern des Mariinsky erinnerte das Bild eines ermordeten syrischen Archäologen an einen Helden der Wissenschaft. Und natürlich ist gegen Bach, Prokofjew und Schtschedrin nichts zu sagen. Aber auf den Rängen des antiken Theaters saßen syrische Mädchen in knallbunter Folklore, ein paar syrische Soldaten und Zivilisten, hundert extra nach Palmyra eingeflogene Journalisten. Die meisten Ränge aber füllten die russischen Soldaten.

Aus irgendeinem Grund trug Valery Gergiev eine weiße Baseballmütze, ebenso wie der Solo-Cellist Sergej Roldugin, noch ein enger Putin-Vertrauter. Der russische Präsident selbst ließ sich per Video zuschalten. Hätte es dessen noch bedurft, so wäre spätestens damit der Eindruck perfekt gewesen, dass dies ein Truppenbesuch ist, und Valery Gergiev sich in die lange, traditionsreiche, wenn auch nicht unumstrittene Reihe von Künstlern einreiht, die zur Erbauung der Soldaten auftreten.

Das russische Fernsehen übertrug - wie 2008 - das Konzert, diesmal unter dem Titel "Ein Gebet für Palmyra". Und Gergiev, der mit seiner Begeisterung für die russische Politik nie hinterm Berg hält, gab sich überwältigt: "Ich hätte nie gedacht, dass ich einmal hier auftreten würde. Es ist schwierig, die Gefühle im Zaum zu halten." Der Auftritt sei "die Musik der Hoffnung".

Es war auch eine Musik der Macht, des fast kolonialen russischen Anspruchs auf Syrien. Aber das dürfte Valery Gergiev kaum stören.

© SZ vom 07.05.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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