Profil:Tankred Dorst

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Tankred Dorst ist auch mit 90 Jahren noch Deutschlands unermüdlichster Dramatiker. (Foto: Marcel Kusch/dpa)

Mit 90 Jahren Deutschlands dienstältester und unermüdlichster Dramatiker.

Von Christine Dössel

Er ist der dienstälteste und immer noch produktivste Dramatiker Deutschlands, ausgezeichnet mit dem Georg-Büchner-Preis, weltweit gespielt. 90 ist er im Dezember geworden, und man hat ihn gefeiert wie einen Dichterfürsten. Mit seiner stattlichen Statur, dem weißgelockten Haar und dem Gehstock, den er neuerdings braucht, strahlt Tankred Dorst, geboren 1925 in Thüringen, etwas geradezu Goethehaftes aus. Wobei ihn, der in München beim Marionettentheater begann und sich profan als "Lebensbeobachter" sieht, nicht als "Welterklärer", eine große Menschlichkeit, Wärme und Neugier auszeichnet, das macht seit jeher auch sein Schreiben aus.

Immer an seiner Seite: Ursula Ehler, seine quirlige Lebens- und Arbeitspartnerin, mit der er vor einigen Jahren von München nach Berlin gezogen ist. Seit Anfang der Siebzigerjahre erarbeitet das Paar die Stücke gemeinsam im Dialog, angefangen bei "Eiszeit" (1973), dem Drama über den Dichter Knut Hamsun und dessen Nähe zu Hitler, bis hin zu "Das Blau in der Wand", ihrem jüngsten und vielleicht persönlichsten Stück, das jetzt bei den Ruhrfestspielen Recklinghausen uraufgeführt wurde. "Ein Paar, das sich in einer einzigen langen Szene durch das ganze Leben redet bis in den Tod und darüber hinaus", heißt es im Untertitel. Ein Mann trifft eine schwangere Frau auf einer Parkbank, die beiden kennen sich nicht und sind doch eng vertraut. Man kann das Stück als eine Art Endspiel betrachten; auf alle Fälle ist es, wie viele Werke Dorsts, eine Parabel auf das Leben - philosophisch, komödiantisch, tiefsinnig, alltäglich. Und im Hintergrund wartet, als eine Art Spielmacher-Figur: der Tod.

Das wievielte Dorst-Drama "Das Blau in der Wand" ist, lässt sich nicht so genau sagen. Das Œuvre umfasst um die 50 Stücke, je nachdem, was man mitzählt. Bühnenadaptionen, Opernlibretti, Hörspiele, Drehbücher, Kinderstücke - das Autorengespann Dorst/Ehler hat einen ungeheuren Output. Die beiden betreiben das Schreiben als Daseinsform: "Unser Leben ist ein Gespräch." Legendär ist der Apothekerschrank in ihrer Wohnung. In seinen Schubladen lagern Einfälle, Rohfassungen, Entwürfe - ein unerschöpflicher Fundus an Weltschnipseln, aus dem Dorst in einer stets offenen Dramaturgie Possen und Parabeln, Märchen und Mythenstücke, Künstler- und Sozialdramen formt. Dabei geht es letztlich immer wieder um ein Thema: das Scheitern des Menschen an seinen Utopien.

Wenn im Herbst am Schauspielhaus Düsseldorf Wilfried Schulz als Intendant beginnt, kommt "Das Blau in der Wand" dort in den Spielplan. In Düsseldorf wurden viele Stücke Dorsts uraufgeführt, auch sein Opus magnum "Merlin oder Das wüste Land", dieses vielstündige Weltendrama rund um die König-Artus-Sage. Es prädestinierte Dorst dazu, bei den Bayreuther Festspielen 2006 Wagners "Ring" zu inszenieren - als damals 80-Jähriger. Die Arbeit ist Dorsts Lebenselixier. Der erste Satz in seinem neuen Stück lautet: "Schön, dass es weitergeht."

© SZ vom 10.06.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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