Profil:Salil Shetty

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Der Amnesty-International-Chef ist für die Legalisierung der Prostitution.

Von Arne Perras

Was es heißt, ein Aktivist zu sein, hat der Inder Salil Shetty schon früh und aus nächster Nähe mitbekommen. Sein Vater war Journalist und rückte die Leiden der Ärmsten ins Licht, seine Mutter setzte sich als Anwältin für benachteiligte Frauen ein. Die Risiken solchen Einsatzes lernte er ebenfalls bald kennen, denn sein Vater wurde, wenn er sich zu weit vorgewagt hatte, immer wieder mal eingesperrt. Abgeschreckt hat das den jungen Shetty damals nicht, im Gegenteil. Bald schlüpfte er selbst in die Rolle des Rebellen, als er in Bangalore die Studentenschaft anführte.

Shetty hat in seinem Leben immer wieder die Auseinandersetzung gesucht. Er scheut sie auch jetzt nicht, da sich ein Sturm des Protests zusammenbraut. Als Chef der Menschenrechtsorganisation Amnesty International (AI) verteidigt der 54-Jährige einen Kurs, der Emotionen schürt und die Gemeinde der Menschenrechtler spaltet. Amnesty hat kürzlich auf einer Versammlung in Dublin beschlossen, für eine weltweite Legalisierung der Prostitution zu kämpfen. Der Chef nennt das "einen historischen Schritt". Andere finden es skandalös.

Auf der Seite der Kritiker sammeln sich viele Prominente wie die Schauspielerinnen Meryl Streep, Kate Winslet oder Emma Thompson. Vielerorts laufen Frauenrechtlerinnen und Aktivisten Sturm gegen einen Plan, den die deutsche Feministin Alice Schwarzer als "nackten Hohn" bezeichnet. Eines hat Shetty als Verfechter der neuen Strategie also schon erreicht: Seit Jahren erregte die Menschenrechtsorganisation nicht mehr so viel Aufsehen wie nun im Streit über die Prostitution.

Shetty, der 1961 in Mumbai geboren wurde und in der Stadt Bangalore aufwuchs, hat sich schon mit vielen angelegt, manchmal auch mit solchen, die man auf den ersten Blick als natürliche Verbündete einstufen konnte. So mahnte er den Gründer der Enthüller-Plattform Wikileaks, Julian Assange, dass in den online veröffentlichten Dokumenten zu Afghanistan Tausende Namen entfernt werden müssten, weil den Leuten, die dort genannt sind, Racheakte drohten.

Dass Shetty die Prostitution in legale Bahnen lenken will, mag auch mit eigenen Beobachtungen in der Heimat und vielen anderen Armutsregionen der Welt zusammenhängen, in denen er schon gearbeitet hat. Dort schürt die Rechtlosigkeit von Sexarbeitern oft die Gewalt, die Betroffenen empfinden Ohnmacht und leiden unter dem Stigma ihres Gewerbes. Allerdings räumt Shetty ein, dass die Probleme komplex sind. Der Beschluss, für eine Legalisierung zu kämpfen, soll denn auch nur für einvernehmlichen Sex unter Erwachsenen gelten. Seine Kritiker überzeugt das nicht. Sie halten dagegen, dass der Amnesty-Kurs die Ausbeutung von Frauen noch verschlimmern werde, zumal es danach aussieht, als solle Bordellbesitzern und Zuhältern gleichsam ein Freibrief ausgestellt werden.

Der Gegenwind für Shetty dürfte nicht so schnell abflauen, doch als erfahrener Aktivist erlebt er das nicht zum ersten Mal. Nach seiner Studienzeit in Indien und London baute der Politologe und Ökonom die Arbeit der Hilfsorganisation ActionAid auf. 2003 beriefen ihn die Vereinten Nationen zum Leiter der UN-Kampagne für die Millenniumsziele. Seitdem er als Chef zu AI wechselte, verfolgt der Vater zweier Kinder vor allem ein Ziel: Er will, dass die Organisation mehr Präsenz in der Dritten Welt zeigt. Sie soll global aufgestellt sein und nicht allein von der Zentrale in London aus agieren. "Es ist ein verbreitetes Missverständnis, dass Menschenrechte etwas sind, was der Westen den Entwicklungsländern weitergibt", sagt er. Deshalb stößt er sich daran, wenn asiatische Staaten mit Verweis auf angeblich speziell asiatische Werte die Unterdrückung ihrer Bürger rechtfertigen.

Shetty verteidigt Menschenrechte als universelles Gut, auch wenn jetzt manche den Eindruck haben, dass er in der Debatte über die Prostitution einen Irrweg beschreitet.

© SZ vom 14.08.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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