Profil:Mário Centeno

Lesezeit: 2 min

Der Portugiese ist neuer Chef der Euro-Gruppe - als erster Vertreter eines Krisenlandes.

Von Thomas Urban

Mário José Gomes de Freitas Centeno hat mal Rugby gespielt, und zwar während seines fünfjährigen Studiums an der amerikanischen Eliteuniversität Harvard. Auch deshalb schreiben ihm Bekannte eine gewisse Härte und Durchhaltevermögen zu. Beides sind Eigenschaften, die der portugiesische Finanzminister auch in seinem neuen, zusätzlichen Amt benötigt: Er leitet seit dem Wochenende die Euro-Gruppe, jene Runde von 19 Finanzministern, die über das Schicksal der gemeinsamen Währung in der Europäischen Union mitbestimmen. Erstmals tritt damit der Vertreter eines Krisenlandes an die Spitze des Gremiums, eines Landes, das wegen seiner hohen Verschuldung vom Internationalen Währungsfonds und der EU vor dem Bankrott gerettet werden musste.

Centeno war bereits im Herbst mit großer Mehrheit zum Nachfolger des Niederländers Jeroen Dijsselbloem gewählt worden. Der 51-Jährige war damals sowohl von den Befürwortern wie von den Gegnern eines strengen Sanierungskurses gelobt worden. So setzen die italienischen Sozialisten darauf, dass er der Politik der "blinden Austerität" ein Ende setzt. Doch der Hohepriester dieser Sparpolitik, der damalige Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble, lobte Centeno, weil er Riesenfortschritte bei der Sanierung des portugiesischen Staatshaushalts erzielt habe. Er rühmte den bekennenden Anhänger des vielmaligen Fußballmeisters Benfica Lissabon sogar als "Cristiano Ronaldo der Finanzpolitik". Zu all diesen Erwartungen an seine Amtsführung sagt Centeno nur, er teile die Euro-Zone nicht in Nord- und Südländer auf.

Als Parteiloser wurde er vor zwei Jahren in Lissabon überraschend ins Kabinett berufen. Der neue sozialistische Premierminister António Costa wollte den schwierigen Posten nicht mit einem Parteigenossen besetzen, denn den portugiesischen Sozialisten spricht die Mehrheit der Portugiesen nur eine geringe Wirtschaftskompetenz zu, nachdem sie mit ihrer überbordenden Schuldenpolitik das Land in die Krise gestürzt hatten. Vor allem aber wollte Premier Costa sich die Möglichkeit offenhalten, bei einer Rückkehr der Krise, die dank des Sparkurses des liberalkonservativen Vorgängerkabinetts erst mal überwunden zu sein scheint, den parteilosen Minister als Verantwortlichen feuern zu können. Ohne zu Zögern hat der stets freundlich auftretende Centeno den Job angenommen.

Zuvor hatte er eine Karriere als Ökonom hingelegt. Centeno, Sohn eines Bankangestellten, erwarb zunächst zwei Diplome an der Uni in Lissabon: in Volkswirtschaft und in Mathematik. Dann folgten die fünf Jahre in Harvard. Nach seiner Rückkehr aus den USA im Jahr 2000, als der auf Pump beruhende Wirtschaftsboom vor seinem Höhepunkt stand, fand er einen Posten in der Analyseabteilung der Nationalbank. Dort stieg er zum stellvertretenden Abteilungsleiter auf und hielt sich lange von der Politik fern.

So war er seinen Landsleuten weitgehend unbekannt, als Costa ihn in sein Kabinett holte. Als Finanzminister fährt Centeno einen vorsichtigen Kurs. Das Sparprogramm wurde geringfügig gelockert, aber mit publikumswirksamen Maßnahmen: Die Regierung führte Feiertage wieder ein und hob die Renten ein klein wenig an. Costa, ein großer Kommunikator, verkaufte sie seinen Landsleuten als Ende der Austerität. In Wirklichkeit hatte die Vorgängerregierung durch einen Abbau des Staatssektors, besonders des aufgeblähten Beamtenapparats, den Grundstein für den derzeitigen Aufschwung gelegt. Hinzu kommt, dass die portugiesische Tourismusbranche neue Rekordgewinne melden konnte.

Centeno verhehlt im Gespräch mit Experten nicht, dass ihm diese Zusammenhänge klar sind. Ebenso scheint er keine Illusionen darüber zu haben, dass sein politischer Spielraum begrenzt ist. Die wichtigen Entscheidungen in der EU werden wohl nach wie vor im Zusammenspiel von Berlin und Paris fallen.

© SZ vom 15.01.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: