Profil:Moqtada al-Sadr

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Unkonventioneller Führer der Schiiten im Irak, der dort die Wahl gewonnen hat.

Von Paul-Anton Krüger

Als 2003 die US-Armee im Irak einmarschierte, begrüßten viele Schiiten sie als Befreier von der Unterdrückung durch den Sunniten Saddam Hussein. Doch ein junger schiitischer Kleriker rief zum Widerstand gegen die Besatzer: Moqtada al-Sadr. Der Abkömmling einer Familie hoher schiitischer Geistlicher, die ihren Ursprung auf den Propheten Mohammed zurückführt, stieg zur ebenso gefürchteten wie mächtigen Figur im Irak auf. Nach dem überraschenden Sieg seiner Liste bei der Parlamentswahl dürfte er eine noch wichtigere Rolle spielen - auch wenn er nie ein Regierungsamt bekleidet hat und dies wohl auch künftig nicht tun wird.

Sadr, heute 44, verheiratet, aber kinderlos, ist eine für die arabische Welt und noch mehr für einen Islamisten sehr ungewöhnliche Zweckallianz mit den Kommunisten und liberalen Parteien eingegangen. Die sind alle weltlich orientiert und fordern einen säkularen Staat. Der begnadete Redner Sadr hatte sich 2015 hinter deren Proteste gegen Korruption und Klientelismus gestellt und Hunderttausende seiner Anhänger mobilisiert. Er fordert, das Proporzsystem zu überwinden, nach dem in Bagdad bisher Geld und Posten vergeben wurden: Eigentlich sollten so die Volksgruppen gemäß ihrer Stärke politisch repräsentiert sein. Doch die Führer der entlang religiöser und ethnischer Linien gebildeten Parteien nutzen es vor allem, um sich zu bereichern.

Sadr dringt seit Langem auf ein Technokratenkabinett, dessen Mitglieder allein nach Qualifikation bestimmt werden sollen, nicht danach, ob sie Schiiten sind, Sunniten oder Christen, Araber oder Kurden. Nach ersten Ergebnissen hat Sadr mindestens 54 der 329 Sitze im Parlament erobert. Das heißt, er braucht Verbündete aus mehreren anderen Lagern, um eine Regierung bilden zu können - jeder Minister muss von den Abgeordneten bestätigt werden, die dann zuerst einen Parlamentssprecher und den Staatspräsidenten wählen und auf dessen Vorschlag dann einen Premier. Angesichts der von abrupten Wendungen geprägten Karriere dürfte das für Sadr trotz seiner Popularität nicht einfach werden; er hat sich über die Jahre einflussreiche Feinde gemacht.

Seine Miliz, die Mahdi-Armee, kämpfte erbittert gegen die USA und die von ihnen unterstützte irakische Übergangsregierung. Er rekrutierte sie in den schiitischen Armenvierteln, bis heute seine politische Basis - etwa Sadr-City in Bagdad, benannt nach Großayatollah Mohammad Sadeq al-Sadr, seinem Vater, den vermutlich Saddam Hussein 1999 zusammen mit zwei seiner Brüder ermorden ließ. Sadr musste daraufhin für seine Mutter sorgen und auch für deren Familien.

Ausgebildet und unterstützt von Iran stieg die Mahdi-Armee zu einer der schlagkräftigsten Milizen im Irak auf. Ihr Name bezieht sich auf den Erlöser im schiitischen Glauben, den verborgenen zwölften Imam. Der Gruppe wurden außergesetzliche Hinrichtungen von Sunniten und politischen Gegnern angelastet. Ist ausgerechnet er der Mann, fragen viele Iraker, der die konfessionelle Spaltung des Landes überwinden kann?

Sadr hat seine Bande nach Iran gebrochen, er tritt seit Jahren als irakischer Nationalist auf, der jede ausländische Einmischung ablehnt. Er sucht in der heiligen Stadt Nadschaf, wo er im Seminar seine Karriere als Geistlicher vorantreibt, die Nähe jener Großayatollahs, die das politische System Irans ablehnen. Im August 2017 akzeptierte er eine Einladung des saudischen Kronprinz Mohammed bin Salman nach Dschidda. Damit hatte das sunnitische Königreich plötzlich wieder einen Verbündeten im Irak, den zuvor das verfeindete schiitische Iran dominierte.

Ali Akbar Velayati, außenpolitischer Berater von Irans Oberstem Führer Ali Chamenei, drohte im Februar in Bagdad, Iran werde nicht zulassen, dass "Kommunisten und Liberale" regieren - damit war Sadrs Sairun-Liste gemeint. Der eigentliche Kampf um die Macht im Irak beginnt erst jetzt.

© SZ vom 15.05.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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