Profil:Martin Wuttke

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Burgschauspieler in Wien, der sein Herz an Berlin verloren hat. (Foto: Clemens Bilan/Getty Images)

Burgschauspieler in Wien, der sein Herz an Berlin verloren hat.

Von Lothar Müller

Neulich, beim Berliner Theatertreffen schlurfte der Schauspieler Martin Wuttke über eine schneebedeckte Bühne. Dass er so unsicher auf den Beinen war, lag nicht am Schnee. Eher an dem Flachmann, den er gelegentlich aus den Taschen seines zerschlissenen Wintermantels zog. Wuttke gab die Titelrolle in Ibsens "John Gabriel Borkman", den gestürzten Bankier, der sich bei Spekulationsgeschäften ruiniert hat. Beim Studium von Aktienkursen konnte man sich diesen langhaarigen Unbehausten kaum vorstellen.

Während Wuttke seinen John Gabriel Borkman immer virtuoser in die großspurige Haltlosigkeit hineintrieb, schien plötzlich eine andere abgebrannte Figur mit Geldsorgen auf der Bühne zu stehen: Wuttke als Wuttke in dem Ende 2015 gesendeten "Tatort: Wer bin ich?". Darin klaut Wuttke einen beträchtlichen Casino-Gewinn, weil er nach dem Aus für seinen Leipziger "Tatort"-Kommissar in Schwierigkeiten steckt. Und ist haltlos, unberechenbar, grantig, einer, dem man alles zutraut.

Um den Leipziger "Tatort" war es nicht schade. Und in Wahrheit kann Martin Wuttke keine Geldsorgen haben. Er ist einer der meistbeschäftigten deutschen Schauspieler, seit 2009 ist er fest am Wiener Burgtheater engagiert. Sein Herz aber gehört der Berliner Volksbühne, wo er vor ein paar Jahren in drei Molière-Inszenierungen gleichzeitig die Hauptrolle spielte und eine der Premieren wegen eines leichten Schwächeanfalls verschieben musste. Es war nicht "Der eingebildete Kranke", sondern wieder was mit Geld: "Der Geizige".

Der Burgschauspieler Martin Wuttke gehört jetzt zu den Unterzeichnern eines offenen Briefes, mit dem große Teile des Ensembles und der Gewerke der Berliner Volksbühne gegen den Kurator Chris Dercon, der 2017 als Nachfolger von Frank Castorfs die Intendanz übernehmen wird, Front machen.

Für seine Karriere war aber ein anderes Theater in Berlin nicht minder bedeutsam: das Berliner Ensemble am Schiffbauerdamm. Hier war er 1993 in Einar Schleefs Inszenierung von Rolf Hochhuths "Wessis in Weimar" zu sehen, hier spielte er 1995 unter der Regie von Heiner Müller als großen Paukenschlag in seiner Serie von Figuren der Haltlosigkeit und Großspurigkeit die Titelfigur in Brechts "Der aufhaltsame Aufstieg des Arturo Ui". Die Wucht, mit der er sich in diese Rolle warf, dürfte ihn als Hitler in Quentin Tarantinos "Inglorious Basterds" (2009) getragen haben. Und während er als Arturo Ui Furore machte, war er zugleich von 1995 an eine Zeit lang Intendant des Berliner Ensembles.

Manche halten Martin Wuttke für einen Ostdeutschen. Die Liste seiner Lieblingsregisseure (Heiner Müller, Einar Schleef, Frank Castorf, Christoph Schlingensief, René Pollesch) ist aber nicht von ungefähr gesamtdeutsch. Wuttke, 1962 in Gelsenkirchen geboren, in Bochum aufgewachsen, ist einer der vielen Zugewanderten, die ihr Herz an Berlin verloren haben.

© SZ vom 22.06.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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