Profil:Maren Ade

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Maren Ade, deutsche Regisseurin mit guten Chancen auf die Goldene Palme von Cannes. (Foto: Andreas Rentz/Getty)

Deutsche Regisseurin mit guten Chancen auf die Goldene Palme von Cannes.

Von David Steinitz

Wenn Steven Spielberg von den großen Hollywood-Branchenblättern plötzlich in Nebensätzen abgehandelt wird, weil sie sich lieber mit einer deutschen Filmemacherin beschäftigen, dann muss wirklich etwas passiert sein beim Filmfestival in Cannes.

Innerhalb von exakt 162 Minuten hat die in Berlin lebende Regisseurin der internationalen Filmbranche den Kopf verdreht, wie man es lange nicht mehr erlebt hat. So lange dauert ihre Tragikomödie "Toni Erdmann", die seit 2008 der erste deutsche Beitrag im Wettbewerb des wichtigsten Filmfestivals der Welt ist. Ein Film aus Deutschland, der nicht nur sehr gut und außergewöhnlich ist, sondern auch noch wirklich witzig - vom Hollywood Reporter in den USA bis zu Le Monde in Frankreich können es die Kritiker kaum glauben. Und während die sich noch die Augen rieben, schlugen die Filmhändler bereits zu: Die Verleihrechte für "Toni Erdmann" wurden bereits in die halbe Welt verkauft, auch Japaner, Südkoreaner und Australier werden den Film bald sehen können. Für die Preisverleihung am Sonntag werden Maren Ade beste Chancen auf die Goldene Palme, den Hauptpreis des Festivals, prophezeit.

Damit hat sich der enorme Stress der vergangenen Monate für die 39 Jahre alte Regisseurin durchaus gelohnt: Erst vor einem halben Jahr wurde ihr zweiter Sohn geboren - als die gesamte Bearbeitung des abgedrehten Films noch vor ihr lag. Trotz der Doppelbelastung ist ihr eine Punktlandung gelungen. Bis Montag vor Festivalbeginn arbeitete sie noch die Nacht durch am Feinschliff, dann ging es ab nach Cannes. Das war nur möglich, weil Ade den Film auch selbst produziert hat und so den Zeitplan für die Fertigstellung mit ihrem Familienleben abstimmen konnte.

Es ist die Geschichte über einen Hippie-Vater, der für sein Leben gern den Clown spielt, und seine biedere Business-Tochter; beide geraten während eines Aufenthalts in Bukarest heftig aneinander. Maren Ades dritter Kinofilm ist das. Wie schon in ihren vorigen Werken "Der Wald vor lauter Bäumen" und "Alle anderen" speist sich die Grundidee des Films weniger aus der Handlung als aus den Charakteren. "Mich zieht es immer zu den Figuren hin", sagt Ade, "damit beschäftige ich mich die meiste Zeit, und erst daraus entwickelt sich drumherum eine Geschichte, die ich zum Drehbuch ausbaue."

Vor Jahren war sie bei einer Premiere der US-Komödie "Austin Powers". Darin trägt die Hauptfigur ein Gebiss aus schiefen, gelben Zähnen. Solche Gebisse wurden bei der Vorführung als Scherzartikel verteilt, und sie brachte eines ihrem Vater mit. Der wiederum setzte es sofort begeistert ein und ging damit auch zum Zahnarzt - womit der väterliche Scherzkeks im Film, der seine Tochter mit absurden Auftritten schikaniert, durchaus ein autobiografisches Vorbild hat. Den Kinopapa hat Ade aber noch weiter zugespitzt und ihn - inspiriert von einem alten bulgarischen Brauch - in ein haariges Kukeri-Kostüm gesteckt. Das wird aus Tierhäuten hergestellt, in diesem Fall Ziege, und lässt den Herrn Papa wie einen mutierten Chewbacca aussehen, die legendäre Pelzfigur aus "Star Wars". So ausstaffiert treibt er seiner Tochter auf einer Party die Schamesröte ins Gesicht. Und weil das Kostüm gar so eindrucksvoll haarig ist, rennt ein Kukeri-Monster derzeit auch die Promenade von Cannes auf und ab. Quasi als lebendiges Werbemittel, das aufgrund der Ziegenhäute eine recht geruchsintensive Promotion-Erfahrung ist.

Ade studierte an der Münchner Filmhochschule Produktion und Regie, mit ihren vorherigen Filmen war sie bereits auf den großen Festivals in Sundance und Berlin vertreten. Cannes wird ihr nochmals einen Karriereschub verpassen. Sollte sie am Sonntagabend tatsächlich siegen, wäre dies das erste Mal seit Wim Wenders, dass ein Film unter deutscher Regie die Goldene Palme gewinnt. Wenders siegte 1984.

© SZ vom 21.05.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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