Profil:Lech Wałęsa

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Der früherer Solidarność-Anführer muss um seinen Ruf fürchten.

Von Florian Hassel

Anfang dieses Jahres bot Lech Wałęsa, Führer der Gewerkschaft Solidarność, Friedensnobelpreisträger und Polens erster frei gewählter Präsident, ein Gespräch über seine Vergangenheit an. Der 73-Jährige wollte mit Historikern des Instituts der nationalen Erinnerung (IPN) über seine angebliche Vergangenheit als Agent "Bolek" diskutieren. Doch Wałęsa einigte sich schließlich nicht mit dem Institut über die Bedingungen der Unterredung und sagte die Debatte wieder ab. Es war nur eine Episode eines Kampfes, bei dem es weniger um Wałęsa an sich geht als um die Deutungshoheit über Polens jüngere Vergangenheit und seine Instrumentalisierung für die Gegenwart.

Schon 1990 gab Wałęsa in seiner Autobiografie "Ein Weg der Hoffnung" zu, dass er im Dezember 1970, als das kommunistische Regime einen Arbeiterprotest in Danzig niederschoss und Mitanführer Wałęsa festnahm, "nicht völlig sauber" aus dem Arrest durch die Staatssicherheit (SB) herauskam. "Sie stellten die Bedingung: Unterschreib! Und da unterschrieb ich." Wałęsa gab zu, er habe sich später mit Geheimdienstlern getroffen - behauptet aber bis heute, er habe die SB-Offiziere genarrt, niemanden verraten und auch kein Geld bekommen. Einigermaßen sicher ist, dass Wałęsa sich 1974 letztmals mit dem SB traf. Danach bewies er anderthalb Jahrzehnte Gegnerschaft zum Regime und wurde zu dem legendären Oppositionsführer, der das Ende des Kommunismus in Polen - und auch in Osteuropa allgemein - mit einleitete.

Zudem waren Wałęsas frühere SB-Kontakte schon in den 80er-Jahren in der Solidarność weder ein Geheimnis noch ein Problem, schilderte der damals beteiligte Jarosław Kurski in der Gazeta Wyborcza. Gewusst habe davon auch Lech Kaczyński, der gemeinsam mit seinem Bruder Jarosław nach dem Sieg der Solidarność Mitarbeiter Wałęsas war Erst als Wałęsa später beide Brüder feuerte, griffen die Kaczyńskis und ihre Mitstreiter Wałęsa an. "Bolek nach Moskau", skandierten von Lech Kaczyński angeführte Demonstranten.

Wałęsa trat 1995 als Präsident ab. Seitdem wird er als Figur von historischem Rang zu Veranstaltungen im In- und Ausland geladen, seitdem berichten Polens Zeitungen gern über den überzeugten Katholiken und seine acht Kinder. Politisch spielt er in Polen aber keine Rolle mehr.

Der Kampf um "Bolek" ging indes weiter. Jaroslaw Kaczyński sagte einmal, wenn Wałęsas kompromittiert sei, werde sein Bruder Lech Kaczyński (bis zu seinem Unfalltod 2010 polnischer Präsident) zum "symbolischen Patron der Solidarność-Bewegung". Außerdem, analysierte die Rzeczpospolita, wolle Kaczyński mit Wałęsas Agentenvergangenheit belegen, dass Polens 1989 entstandene Demokratie, die von Kaczyński ungeliebte III. Republik, ein "Balg der Staatssicherheit" gewesen sei. Und die Diskreditierung der III. Republik wäre ein Mittel, um eine autoritäre IV. Republik vorzubereiten, von der Kaczyński seit Jahrzehnten träumt. Polens Staatsfernsehen, das unter Kaczyńskis Kontrolle steht, greift denn auch die alten Vorwürfe gegen Wałęsa genüsslich auf - mit vielen Stunden Sendezeit.

Das IPN erklärte die Verpflichtungserklärung "Bolek - Lech Wałęsa" und andere Dokumente ohne sorgfältige Prüfung für "authentisch". Und dies, obwohl ein für das Institut arbeitender Staatsanwalt 2011 feststellte, dass Anfang der 1980er-Jahre fünf kommunistische Geheimdienstoffiziere systematisch Dokumente über Wałęsas angebliche Agententätigkeit gefälscht hätten, um ihn zu diskreditieren. Auf diese Verteidigungslinie - die nun gefundenen Dokumente seien gefälscht - zieht sich auch Wałęsa zurück. Selbst wenn sie echt wären, "sprechen wir nur von einen kleinem Fragment der Biografie Wałęsas, das nicht seine gewaltige Rolle als Anführer der Freiheitsbewegung umfasst", urteilt der Historiker Jan Skórzyński.

© SZ vom 20.02.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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