Profil:Jörg Kukies

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Was ein 50-jähriger Investmentbanker in der Politik verloren hat.

Von Cerstin Gammelin

(Foto: picture alliance/ATP)

Man sagt Bankern von Goldman Sachs nach, dass sie etwas von Finanzen verstehen. Insofern hat Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD) keine schlechte Wahl getroffen: Er hat seinen wichtigsten Finanzmann aus der deutschen Sektion der Investmentbank geholt. Jörg Kukies, 50 Jahre alt, bisher Co-Vorsitzender bei Goldman Sachs, soll sich als Staatssekretär im Bundesfinanzministerium um Europa und die Finanzpolitik kümmern. Damit ist Scholz ein Coup gelungen. Erstmals in der Geschichte des Ministeriums wechselt ein Goldman-Sachs-Banker direkt in einen Chefsessel des weitläufigen Hauses in der Berliner Wilhelmstraße. Und, auch das noch: Der Mann ist Sozialdemokrat.

Kukies eilt der Ruf voraus, Zahlen und Menschen verbinden zu können. Er gilt als mathematisch versiert, analytisch denkend und problemlösungsorientiert. Kollegen bezeichnen ihn als politisch streitbaren Gesprächspartner. Er selber gibt an, dass er sich neben seiner Arbeit "für zahlreiche Projekte zur Verbesserung der Integration von Migranten und Flüchtlingen in Deutschland" engagiere.

Den Sachverstand dieses politisch denkenden Bankers könne man sehr gut gebrauchen, verlautete am Montag aus dem Umfeld von Scholz. Bei den anstehenden Aufgaben sei es wichtig, einen Experten aus der Privatwirtschaft im Ministerium zu haben. Da sind die Folgen des Brexits zu bewältigen - gerade da kennt Kukies sich bestens aus. Und da ist die europäische Finanzpolitik. Bis zum Juni will die Bundesregierung ihre Prioritäten für die europäische Reformagenda festlegen. Am wichtigsten ist Berlin die Vollendung der Bankenunion. Das betrifft jeden Bürger: Es geht darum zu verhindern, dass die Steuerzahler wieder Banken retten müssen - und darum, dass die Spareinlagen sicher bleiben. In der Finanzkrise 2008 versprach die Bundesregierung dies hoch und heilig; mit Kukies als Finanzstaatssekretär könnte das Versprechen einen neuen Wert bekommen.

Der Neue soll zudem die deutschen Interessen in den Verhandlungen in Brüssel vertreten. Man darf davon ausgehen, dass er sich bestens damit auskennt, wie in Europa und der Welt Kompromisse ausgehandelt werden. Kukies studierte in Boston an der Harvard-Universität, an der französischen Sorbonne sowie in "der Heimat des überaus erfolgreichen Fußballvereins Mainz 05, der Gutenberg-Uni in Mainz" - wobei der Erfolg der Mainzer Kicker zur Zeit eher Wunschdenken ist. Er promovierte an der Uni von Chicago. Danach arbeitete er für Goldman Sachs in London und Frankfurt, 2014 wurde er Co-Chef von Deutschland und Österreich.

Trotz allem Sachverstand: Manchem Sozialdemokraten dürfte es schwer fallen zu verstehen, dass ausgerechnet die SPD einen Vertreter aus dem Feindesland, der Bankenbranche, die deutsche Finanzpolitik bestimmen lässt. Und dann noch einen jener Bank, die immer beste Kontakte in die Politik pflegte: Die Finanzminister der US-Präsidenten Bill Clinton und George W. Bush kamen genauso von Goldman Sachs wie Mario Draghi, der Chef der Europäischen Zentralbank. Olaf Scholz lässt dazu erklären, dass Kukies nie seine politischen Grundüberzeugungen aus dem Blick verloren habe; seit Jahren arbeite er im SPD-Wirtschaftsforum mit. Kukies selbst sagt, dass er gern bei Goldman Sachs gebleiben wäre, aber der Ruf nach Berlin eine einmalige Chance sei.

Mit Kukies wird der Bundesregierung wohl auch der angestrebte Verkauf der Commerzbank-Anteile leichter fallen. Die Commerzbank hatte Goldman Sachs beauftragt hatte, sie zur Abwehr feindlicher Übernahmen zu beraten, Kukies kann sozusagen im Schlaf erklären, warum die Commerzbank nicht von Franzosen oder Italienern übernommen werden sollte. Falls Berlin seine Anteile verkaufen will, weiß Kukies also, was zu tun ist.

Kukies ist verheiratet und Vater einer vierjährigen Tochter - und passionierter Jogger. Ausdauer dürfte ihm helfen bei der neuen Arbeit.

© SZ vom 20.03.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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