Neuseeland:Jacinda Ardern - eine Frau, die die Spielregeln ändert

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Sie ist bodenständig aufgewachsen und gilt als Pragmatikerin: Neuseelands junge Premierministerin, die nun in die Babypause geht.

Von Claudia Fromme

Sie war noch keine sieben Stunden Chefin der neuseeländischen Labour-Partei, als ihr die Frage das erste Mal gestellt wurde. Erst schwurbelte der TV-Moderator über die Herausforderung von Frauen, Familie und Beruf zu vereinbaren, dann fragte er sie: "Planen Sie Kinder?" Jacinda Ardern, 37, beschied ihm schmallippig, dass ihn das nichts angehe, diese Frage dürfe Frauen am Arbeitsplatz nicht gestellt werden. "Das ist 2017 inakzeptabel." Auch habe die Kinderfrage nichts mit der Eignung im Beruf zu tun. Für Ardern ging es um einen wirklich wichtigen Job: Es war August, und in einem Monat sollten die Neuseeländer eine neue Regierung wählen.

Im Pazifikstaat brach eine hitzige Debatte über Geschlechterfragen aus, im Januar antwortete Ardern, nun jüngste Premierministerin der Welt, via Twitter: "Unser Team wächst von zwei auf drei." Damit ist sie die zweite Regierungschefin nach Benazir Bhutto in Pakistan, die im Amt ein Kind bekommt. Bis zur Geburt, die für Mitte Juni errechnet ist, will sie arbeiten und dann sechs Wochen Babypause machen. Vertreten wird sie von Vize Winston Peters. Danach kümmert sich vor allem ihr Partner Clarke Gayford um das Kind, der eine Angelsendung im TV moderiert.

Die einen feierten sie nach der Ankündigung als Ikone der Frauenbewegung, andere fanden, dass sie andere Mütter unter Druck setze, schnell wieder zu arbeiten. Sofort war der Name Sheryl Sandberg zur Hand, die Co-Geschäftsführerin von Facebook war bisher Titelinhaberin des Feindbilds überambitionierte Mutter. Leicht säuerlich lasen die Skeptiker, was Sandberg kürzlich im US-Magazin Time über Ardern schrieb: "In einer Welt, die Frauen auffordert, sich klein zu machen (...) und in der wir nicht beides haben können, Kinder und Karriere, zeigt sie, wie falsch und veraltet diese Idee von Frausein ist." Ardern führe nicht nur ein Land, sie ändere die Spielregeln. Frauen und Mädchen würden weltweit davon profitieren.

Für solch eine Heldenverehrung ist Jacinda Ardern, 1980 als Tochter eines Polizisten und einer Kantinenkraft in Hamilton geboren, nicht zu haben. Sie ist bodenständig aufgewachsen, gilt als Pragmatikerin. Ihre Themen sind Klimaschutz und Wohnungsbau, sie hat ein Programm gegen Kinderarmut aufgelegt und will die Handelsbeziehungen mit Europa stärken. Als sie im April in einem Federumhang der Maori die Queen in London besuchte, feierten die Ureinwohner Neuseelands sie. Anschließend brachte sie Angela Merkel ein Foto von Kiwi "Whauwhau" vorbei. Den Vogel hatte die Kanzlerin 2014 in Auckland gestreichelt. Bei ihren Reisen kann man Ardern über Twitter und Facebook begleiten. In Berlin sagte sie im wackligen Selfie-Video: "Hi, ihr alle. Gehe gleich zu Meeting mit Angela Merkel." Als sie 27 Stunden lang schwanger gen Europa flog, schrieb sie: "Ich muss schreckliche Thrombose-Strümpfe tragen."

Ardern trat mit 17 Jahren in die Labour-Partei ein, nach dem Studium der Kommunikationswissenschaften beriet sie die neuseeländische Premierministerin Helen Clark, danach den Labour-Premier Tony Blair in London. 2008 wurde sie jüngste Abgeordnete in der Geschichte Neuseelands, 2017 erst Vizechefin, dann Vorsitzende der Oppositionspartei. Ihr Vorgänger Andrew Little trat kurz vor der Wahl zurück, als die Umfragewerte für Labour mit 24 Prozent historisch mies waren. Ardern drehte das Spiel, auch weil sie die Neuseeländer mit ihrer zupackenden, offenen Art für sich einnehmen konnte. Bei den Wahlen bekam Labour 36,9 Prozent und regiert nun in einer Koalition mit der rechtspopulistischen Partei New Zealand First, die von den Grünen toleriert wird.

Dass das Private politisch sein kann, darüber macht sich Ardern wenig Illusionen. "Ich weiß, dass viele Menschen sich nur an mich erinnern werden, weil ich eine Frau bin und ein Kind im Amt bekommen habe", sagte sie unlängst der Times. Sie verstehe das. Sie wolle nur nicht, dass das die einzigen Dinge bleiben, für die man sie kenne.

© SZ vom 09.06.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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