Profil:Hans Jörg Schelling

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Österreichischer Finanzminister und Advokat für mehr Schulden.

Von Cerstin Gammelin

Österreichs Finanzminister gehen gelegentlich mit Nachrichten an die Öffentlichkeit, die europäische Kollegen gern vertraulich behandelt sähen. Legendär ist der Auftritt von Maria Fekter mitten in der Euro-Krise, auf dem Finanzministertreffen 2012 in Kopenhagen. Die Österreicherin verließ die Beratungen extra früher, um vor der Tür zu erklären, Jean-Claude Juncker habe Nierensteine, sie könne aber berichten, dass Europa eine finanzielle Brandmauer von 800 Milliarden Euro bauen werde. Der damalige Chef der Euro-Gruppe war so erbost, dass er seinen geplanten Auftritt absagte.

Am Sonntag hat Hans Jörg Schelling,61, ein Tabu gebrochen. Der Finanzminister, seit 13 Monaten im Amt und folglich mit politischer Erfahrung ausgestattet, forderte in einem Interview in der Welt am Sonntag das, wofür bei jeder Gelegenheit normalerweise die italienische Regierung wirbt: dass nämlich Schulden in gute und schlechte unterteilt werden. Schelling will, dass das Geld, das die europäischen Staaten gerade wegen der Versorgung der Tausenden Asylbewerber aufnehmen müssen, zu guten Schulden wird und deshalb nicht im Budget zählt. Er hält es für angebracht, die hohen Aufwendungen für die humanitären Maßnahmen als "außerordentliche Einmaleffekte" abzubuchen. Er poltert, es gehe nicht, dass Wien sich besonders humanitär zeige, viel Geld für Migranten ausgebe und dann aus Brüssel mit Sanktionen in Millionenhöhe bedroht werde.

Es ist bemerkenswert, wenn plötzlich ein Land aus der Fraktion Nordeuropa, die angeblich in Regeln und Stabilität verliebt ist, fordert, die europäischen Defizitkriterien aufzuweichen - so wie es Italien und Frankreich seit Jahren für Zukunftsinvestitionen wollen. Der deutsche Finanzminister Wolfgang Schäuble wird es wenig goutieren, dass nun auch der österreichische Kollege den flexiblen Südstaatler gibt. Andererseits kommt er nicht an dem Umstand vorbei, dass Deutschland in der Flüchtlingskrise europaweit eine fiskalische Sonderstellung innehat. Kein anderes Land in Europa kann es sich leisten, neun Milliarden Euro zur Subventionierung der deutschen Willkommenskultur zuzusagen und dabei keine neuen Schulden einzuplanen. Alle anderen Regierungen werden tiefer ins Defizit rutschen.

Bisher konnten Schelling, preisgekrönter Winzer und Millionär, sowie Schäuble, aus Baden stammender Weinkenner, gut miteinander. Der bürgerlich-konservative Quereinsteiger (ÖVP) hat sich schnell eingearbeitet, ist energiegeladen - und loyal. In der Griechenlandkrise stützte er Schäubles harte Strategie. Wenn demnächst doch eine Finanztransaktionssteuer eingeführt wird, ist das Schellings geschickter Verhandlungsführung geschuldet. Sogar im Streit darum, ob Spareinlagen europäisch gesichert werden, steht er zu Schäuble - der das vehement ablehnt. Ob er dafür mit dem Entgegenkommen Schäubles bei den Schulden rechnen darf, ist allerdings mindestens ungewiss.

© SZ vom 28.09.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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