Profil:Frank Castorf

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Frank Castorf: Intendant der Berliner Volksbühne vor seinem Abschied mit "Faust". (Foto: Bernd Weissbrod/dpa)

Intendant der Berliner Volksbühne vor seinem Abschied mit "Faust".

Von Christine Dössel

Wie lange der Theaterabend dauern wird, kann keiner so genau sagen. Kenner gehen von sechs bis sieben Stunden aus. Fest steht nur: Wenn an diesem Freitag an der Berliner Volksbühne irgendwann nach Mitternacht der Gelehrte und Großökonom Dr. Heinrich Faust sein Leben ausgehaucht haben wird, dann geht mehr als nur ein Stück zu Ende. Es ist das Ende einer Ära, das hier eingeläutet wird, eines epochalen Kapitels deutscher Theatergeschichte.

Mit Goethes "Faust", der Tragödie erstem und zweitem Teil, nimmt der Exzessiv-Regisseur Frank Castorf nach 25 Jahren Abschied von dem Haus am Rosa-Luxemburg-Platz, es ist seine letzte große Inszenierung als Volksbühnen-Intendant. Im Juni soll noch eine "kleine Inszenierung" folgen, dann ist ein für alle Mal Schluss mit Castorfs legendärer Volksbühnen-Zeit. Im August übernimmt der als Nachfolger umstrittene Museumsmann Chris Dercon das Haus und wird es komplett neu aufstellen.

Klar, dass Castorf im "Faust" noch einmal viele Weggefährten und Lieblinge versammelt, darunter Volksbühnen-Stars wie Martin Wuttke (Faust), Marc Hosemann (Mephisto), Sophie Rois, Alexander Scheer oder Lilith Stangenberg. Neu in der Castorf-Truppe ist Valery Tscheplanowa. Sie spielt Gretchen und Helena. Gemäß seinem Ruf als intellektueller Regie-Berserker und Stücke-Zertrümmerer wird Castorf natürlich nicht einfach Goethes Text inszenieren, sondern - wie es in der Ankündigung heißt - eine Art "Volksbühnenfaust", gedacht als "differenzierter interpretativer Befreiungsschlag": ein "Mammutprojekt, das nur möglich ist durch seine Spieler und Künstler, von denen viele bis zu 25 Jahre dafür trainiert haben". Ein letztes Mal würden sie nun zusammenkommen und gemeinsam den "Mount Faust" besteigen.

Das klingt nach Großaufwasch und letztem Aufgebot: der ganze Castorf-Kosmos noch einmal ausgeschritten an einem Abend - um zu sehen, was die Volksbühnen-Welt im Innersten zusammenhält. Ein Vierteljahrhundert lang, seit seinem Antritt 1992, hat der Bürgerschreck Frank Castorf, geboren am 17. Juli 1951 als Sohn eines Ostberliner Eisenwarenhändlers und schon zu DDR-Zeiten ein Regieprovokateur, das Haus geprägt, um nicht zu sagen: gerockt. Hier gab es Konzerte, Filme, Diskursformate - neben Inszenierungen, in denen sich das Sinnliche, Ekstatische und Politische aufs Schönste und Wildeste mischten. Die Volksbühne errang Kultstatus, wurde zum heißesten Theaterort (und Hort der Theaterdekonstruktion) der Nachwendezeit. Und zu einem der bedeutendsten Ensembletheater überhaupt. Regisseure wie Christoph Schlingensief, Christoph Marthaler, René Pollesch und Herbert Fritsch haben dazu ebenso beigetragen wie Castorf selbst mit seinen Roman-Adaptionen: Bulgakow, Döblin, Dostojewski. Zum Abschied nun also Goethe. Castorf auf den Spuren des ewigen Strebers und Machos Faust. Als Devise verlautet aus der Volksbühne: "Das Männliche ist das Vergängliche."

© SZ vom 03.03.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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