Profil:Chrystia Freeland

Lesezeit: 2 min

Freeland widerspricht jedem gängigen Klischee einer Ceta-Befürworterin: Sie kämpft nicht für die Konzerne, sondern für deren Einhegung. (Foto: Bloomberg)

Kanadische Handelsministerin mit Ceta-Glaubwürdigkeit und Fangemeinde bei der SPD.

Von Michael Bauchmüller

Der Schock kam mitten in der Rede. Die Übersetzer waren eifrig bei der Arbeit, die Delegierten lauschten, Kopfhörer auf den Ohren. Da wechselte Chrystia Freeland plötzlich auf Französisch. Wenn es einen Augenblick gab, der den Organisatoren des SPD-Konvents Schweißperlen auf die Stirn trieb, dann war es nicht die Abstimmung - sondern dieser. An Französisch-Dolmetscher hatten sie nicht gedacht.

Der Schreck dauerte nur drei Sätze. Eine Rede nur auf Englisch, so erklärte sie lachend, verböten ihr die Gesetze des zweisprachigen Kanada. Die Herzen der Sozialdemokraten hatte sie zu dem Zeitpunkt ohnehin schon gewonnen. Denn Chrystia Freeland, als Handelsministerin eine engagierte Fürsprecherin des Freihandelsabkommens Ceta, hat auch aus Sicht von Ceta-Kritikern eine astreine Vita.

Ehe Freeland Politikerin wurde, war sie Journalistin, und ihr bekanntestes Werk findet sich auch in manchem deutschen Bücherregal. Es trägt den vielsagenden Titel "Die Superreichen" und schaffte es 2013 bis auf Platz acht der Spiegel-Bestsellerliste. Auch der Untertitel wärmt aufrechten Sozialdemokraten das Herz, er geißelt "Aufstieg und Herrschaft einer neuen globalen Geldelite". Freeland widerspricht jedem gängigen Klischee einer Ceta-Befürworterin: Sie kämpft nicht für die Konzerne, sondern für deren Einhegung.

Das Buch bahnte Freeland, 48, den Weg in die Politik, denn bei einer Lesung in Toronto war zufällig auch Justin Trudeau unter den Zuhörern. Der spätere Ministerpräsident belagerte die Autorin so lange, bis sie für das Parlament kandidierte. Es ist diese Geschichte, die sie auch vor dem SPD-Konvent erzählt. Wie sie für die liberale Partei Trudeaus ins Parlament einzog und sich dort um Handelsfragen kümmerte. Wie sie in Ceta die Chance erkannte, Kanada enger an Europa zu binden. Und warum die EU Kanada in mancher Hinsicht näher ist als der geografische Nachbar, die USA. "Das war ein Plädoyer für Ceta aus linker Perspektive", sagt einer, der im Saal war. Manch einer sieht in Freelands Auftritt gar einen wichtigen Grund für den Erfolg Sigmar Gabriels bei dem Konvent.

Politisch trennt die beiden ohnehin nicht viel. Die kanadischen Liberalen verstehen sich als linksliberal, sie stehen einer SPD näher als einer FDP. Kontakt hatten Gabriel und Freeland auch schon genug, gemeinsam arbeiteten sie an der Idee eines Investitionsgerichtshofs zur Klärung von Streitigkeiten. Im Abkommen ist der mittlerweile an die Stelle privater Schiedsgerichte getreten. Es habe Zeiten gegeben, sagte sie einmal, da habe sie gewusst, "wenn Sigmars Tochter einen Husten hat".

Freeland, deren Vorfahren aus der Ukraine nach Kanada emigrierten, gibt am liebsten immer noch die Journalistin. In Gesprächen antwortet sie kurz, fragt aber dafür lang. Beim Konvent ging sie raus zu den Demonstranten, um sie zu ihren Vorbehalten zu interviewen. Das fand auch die Anti-Ceta-Front zur Abwechslung mal gar nicht so schlecht.

© SZ vom 21.09.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: