Profil:Anita Lasker-Wallfisch

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Cellistin, der die Musik in Auschwitz das Leben rettete - und Rednerin gegen den Hass.

Von Renate Meinhof

Ihre Geschichte ist auch eine über die rettende Kraft der Musik. Das klingt nun fast ein wenig formelhaft: die rettende Kraft der Musik. Was aber Anita Lasker-Wallfisch betrifft, so hat die Musik, so hat das Cello ihr sehr direkt das Leben gerettet, in Auschwitz, ihr und ihrer Schwester Renate. Und weil der Klang des Cellos der menschlichen Stimme sehr nahe kommt, ahnt man, dass diese Frau durch ihr Instrument womöglich noch viel mehr, viel klagender und tiefer und noch berührender hat sprechen können als mit ihrer eigenen Stimme. Denn über das, was sie in Auschwitz und Bergen-Belsen erlebt hat, begann sie erst Anfang der Neunzigerjahre zu reden und zu schreiben.

Diese Stimme, der etwas sehr Nüchternes, Klares anhaftet, war am Mittwoch bei der Gedenkstunde für die Opfer des Nationalsozialismus im Deutschen Bundestag zu hören. Anita Lasker-Wallfisch hat sich in einem Interview mit dem SZ-Magazin einmal als einen "sehr sachlichen Menschen" bezeichnet. In ihrer Familie - zwei Kinder bekam sie nach dem Krieg - war der Holocaust nie Gesprächsthema, bis sie ihre Lebenserinnerungen aufgeschrieben hatte. "Warum hat deine Mutter ihre Telefonnummer auf dem Arm?", wurde die Tochter Maya als Kind gefragt und konnte keine Antwort geben, denn sie wusste nichts von tätowierten Häftlingsnummern, nichts von Auschwitz, wo ihre Mutter die 69388 war.

"Warum sollte ich meine Tochter in eine Welt des Schreckens lassen?", hat Anita Lasker-Wallfisch gefragt.

Die Welt des Schreckens. In sie hinein wurden die jüdischen Mädchen Anita und Renate gestoßen, da waren ihre Eltern schon aus Breslau, der Heimat, deportiert worden, im April 1942 war das. Sie sahen einander nie wieder. Die Schwestern mussten erst ins Waisenhaus, dann hatten sie in einer Papierfabrik Zwangsarbeit zu leisten. Nach Auschwitz kamen sie auf getrennten Wegen, fanden sich dort aber wieder. Und weil Anita Cello spielen konnte, und weil Renate die Schwester des Mädchens war, das Cello spielen konnte, durften sie leben. Anita kam ins sogenannte Mädchenorchester. Es probte in Block 12, Birkenau, da, wo die Gaskammern waren. Alma Rosé, selber Geigerin, die Nichte Gustav Mahlers, trieb ihre 47 Musikerinnen mit Härte an. "Wir hatten mehr Angst vor Alma Rosé als vor den Gaskammern. Das hat uns auf andere Gedanken gebracht, sonst hätten wir nach draußen geschaut und den Rauch der Krematorien gesehen", sagt Anita Lasker-Wallfisch, "so dachten wir nur an die Musik."

Musik in Auschwitz? Ja, denn die SS wollte unterhalten werden. Es ging aber auch um den Takt für den Gleichschritt der Arbeitskolonnen, um das Gift der vorgetäuschten Harmlosigkeit für diejenigen, die ins Gas getrieben wurden.

"Wir konnten alles sehen", sagte Anita Lasker-Wallfisch am Mittwoch im Bundestag, "wie die Menschen in Rauch verwandelt wurden".

Die Befreiung erlebten die Schwestern im KZ Bergen-Belsen. Anita Lasker heiratete später den Pianisten Peter Wallfisch. Sie ging in England als Cellistin ihren Weg, war Mitgründerin des English Chamber Orchestras. Sie machte Deutsch zu einer "verbotenen Sprache" in der Familie, wie ihre Tochter Maya es formulierte.

Jahrzehnte später erst sprach sie ihre Muttersprache wieder öffentlich, reiste als Zeitzeugin nach Deutschland, ging in die Schulen, um von der schrittweisen Entrechtung der Juden zu reden, und von Auschwitz. 92 Jahre ist sie jetzt, eine der Letzten, wie sie es selber sagt, und wenn man sie reden hört, spürt man: Sie weiß, dass es genau jetzt ihrer Klarheit bedarf. In einer Zeit, in der auch in Deutschland wieder jüdische Schulen und Synagogen unter strengstem Polizeischutz stehen müssen und der Bundestag einen Antisemitismus-Beauftragten einsetzen will. Wie hatte Anita Lasker-Wallfisch vor diesem Bundestag gesagt? "Hass ist ganz einfach ein Gift. Und letzten Endes vergiftet man sich selbst."

© SZ vom 01.02.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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