Profil:Amnon Shashua

Lesezeit: 2 min

Mathematiker, der an der Weltformel fürs autonome Fahren arbeitet.

Von Joachim Becker

Deutschland war mal ein Land der Start-ups: Gottfried Daimler, Carl Benz oder Robert Bosch prägten das Selbstverständnis des Landes als Technologienation. Doch mit Feinmechanik kann man heute kaum noch Automobilgeschichte schreiben. Bessere Aussichten haben Software-Experten wie Amnon Shashua. Schon als Student forschte er in den 80er-Jahren an künstlicher Intelligenz. Computerhirne, die ihr Umfeld erkennen und selbständig navigieren können - wer an so etwas arbeitet, kann in Israel Karriere beim Militär machen. Doch Shashua promovierte in den USA, wurde Mathematik-Professor und gründete nebenbei ein Weltunternehmen. Sein Start-up Mobileye hatte 1999 nicht viel mehr zu bieten als eine Idee: Man nehme eine Kamera, fast so klein wie im Mobiltelefon, und ein paar Algorithmen, um den Straßenverkehr zu verstehen. Unmöglich, sagten die deutschen Autohersteller. Mit ihren Radarsystemen konnten sie die Welt zentimetergenau vermessen. Doch verstehen, was gerade um das Auto herum passiert, konnten sie nicht.

Amnon Shashua hat mit seiner Idee die Autowelt verändert. Fast alle führenden Autohersteller setzen heute seine Kameras für Fahrerassistenzsysteme ein. Und wieder hat der 57-Jährige eine scheinbar verrückte Idee: Wie wäre es, wenn die Maschinen nicht nur wie Menschen sehen könnten, sondern auch so ähnlich entscheiden würden? Und wieder sagen Skeptiker: Unmöglich! Dabei ist Shashua nicht nur der bisher größte Börsengang eines israelischen Unternehmens gelungen, er hat seine Firma, die nur ein paar Hundert Mitarbeiter hat, Anfang 2017 für umgerechnet rund 15 Milliarden Euro an den Chip-Giganten Intel verkauft und ist dort jetzt der Chef für alle Themen rund ums autonome Fahren.

Shashua könnte Verkehrspsychologe sein, wenn er ruhig, aber bestimmt über den Straßenkampf doziert: "Autofahren ist ein Spiel mit vielen Spielern. Die anderen Autos da draußen sind keine autonomen Fahrzeuge, sie kooperieren nicht unbedingt. Hinter ihren Lenkrädern sitzen Menschen, die aggressiv sind und Fehler machen." Roboterautos müssen sich also in einer potenziell feindseligen Welt zurechtfinden. Zum Beispiel an einer Autobahneinfahrt beim endlosen Warten auf die Lücke im dichten Verkehr. Letztlich müssen sie das Verhandeln lernen - so wie es Menschen hinter dem Steuer per Augenkontakt machen.

Der Mathematikprofessor sucht also nach einer Art Weltformel für automatisiertes Fahren. Dafür hat er sechs Millionen Unfälle analysiert. "99,4 Prozent davon fallen in eines von 37 typischen Szenarien. Unsere mathematischen Modelle decken diese alle ab." Fast alle kritischen Verkehrssituationen ließen sich letztlich auf eine Formel bringen. Wenn es nach ihm ginge, würden die Maschinen nach einer einheitlichen Logik entscheiden. Das würde die Gerichtsverfahren nach den ersten Unfällen mit hoch automatisierten Autos wesentlich vereinfachen.

Show-Effekte rund um die Roboterautos interessieren Shashua nicht. "Was viele Kollegen zum autonomen Fahren machen, würde ich eher ein wissenschaftliches Projekt nennen", sagt er. Man brauche weniger teure Sensoren und weniger Rechenleistung, als die meisten Technologie-Vorreiter jetzt noch einsetzen: "Autonomes Fahren wird nicht abheben, wenn es zu teuer ist und keinen wahren wirtschaftlichen Nutzen hat." Statt des technischen Overkills, den man auch in deutschen Firmen liebt, geht es Shashua um schlanke Lösungen. Dazu gehören preiswerte Kamerasysteme und Echtzeitkarten, die von Millionen Autos mit ihren Kameras gemeinsam erstellt werden. Und als Krönung jene gerichtsfeste Entscheidungslogik für das autonome Fahren.

Auch bei dieser Weltformel arbeitet der Milliardär Shashua nach dem Prinzip der Sparsamkeit. Zu dritt habe man die Idee in ein paar Wochen ausgearbeitet. Ganz einfach.

© SZ vom 02.02.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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