Profil:Alejandro Aravena

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Der Kurator in Venedig lässt seine architektonischen Werke von Laien fertigbauen.

Von Laura Weißmüller

Jede Profession hat ja so ihr Outfit. Die der Architektenschaft trägt gern schwarz. Das höchste der Gefühle sind farbenfrohe Turnschuhe, aber die verschwinden schnell, sobald der erste zahlungskräftige Bauherr neben dem Baumeister steht. Dann ist Uniformität angesagt. Nicht so bei Alejandro Aravena. Der chilenische Architekt dürfte dieses Jahr der einflussreichste seiner Zunft sein. Im Frühjahr hat er den Pritzker Preis bekommen, der so etwas wie der Nobelpreis in der Architektur ist. Und gerade hat er die 15. Architekturbiennale in Venedig kuratiert, die weltweit wichtigste Ausstellung für Architektur überhaupt, die alle zwei Jahre abgehalten wird und die an diesem Samstag mit dem Titel "Reporting from the Front" eröffnet. Und was trägt Aravena zur ersten exklusiven Führung? Gummistiefel-Boots, Jeanshemd und ein Strubbelhaar als wäre er gerade erst aus dem Bett aufgestanden.

Einen "Posterboy for a more critical model of architecture practice" hat der Guardian Aravena einmal genannt. Das mit dem Schönling stimmt: Es gibt kaum jemanden den der Architekt nicht mit einem tiefen Blick aus seinen graublauen Augen bedenkt, egal ob es ein Sicherheitsmann oder der Biennalepräsident ist. Das mit dem kritischen Modell für eine Architekturpraxis stimmt aber noch mehr. Der 1967 in Santiago de Chile geborene Architekt hat das Denken über den sozialen Wohnungsbau revolutioniert, indem er die zukünftigen Bewohner von Anfang an in den Entstehungsprozess miteinbezog und sie nicht nur alibimäßig später die Badezimmerfliesen aussuchen ließ.

Das Projekt, das ihn mit seinem Büro Elemental 2004 weltweit bekannt gemacht hat, behandelte die Nutzer als ebenbürtige Partner. Sie konnten ihre schlanken Häuser im Norden Chiles selbst fertigbauen, je nachdem welche Mittel sie zur Verfügung hatten und was sie brauchten. Von Aravena bekamen sie nur "die Hälfte eines guten Hauses". Die Qualität der halben Häuser unterschied die Wohnsiedlung von all den Millionen seelenlosen Sozialbauten auf der Welt, die die Armut eher einbetonieren als sie zu bekämpfen.

Das Projekt startete Aravena wie alle seine Aufträge, egal ob es sich um ein neues Unigebäude, ein Bürohochhaus oder den Wiederaufbau eines Dorfes nach einer Naturkatastrophe handelt, mit einem intensiven Fragemarathon: "Es gibt nichts Schlimmeres als eine gute Antwort auf eine falsche Frage zu finden", sagt er. "Wir verwenden genauso viel Zeit darauf, die richtigen Fragen zu finden, wie dann für die Antwort."

Warum Aravena das zulässt, was anderen Architekten ein Graus ist, nämlich das eigene Werk aus der Hand zu geben und von Laien vollenden zu lassen? "Ich bin kein Kontrollfreak", erklärt er schlicht. Das würde auch nicht zu ihm passen. Er arbeitet strikt nie am Wochenende und nie nach 19 Uhr - eigentlich die Zeit, wo in vielen Büros seiner Kollegen erst die heiße Phase beginnt.

Nach dem Architekturstudium in Santiago reiste er als junger Mann erst einmal durch Europa und nahm von berühmten Bauwerken Maß, nicht um über sie zu urteilen, sondern um von ihnen zu lernen. "Wenn man zeichnet, baut man gewissermaßen schon. Aber wenn man einfach nur Maß nimmt, erfährt man etwas, ohne selbst zu bauen. Man lernt durch die Projekte anderer."

Als Aravena von seiner großen Tour zurückkam, gründete er ein Büro - und schloss es dann ziemlich schnell wieder, entnervt von den Bauherren. Lieber eröffnete er eine Bar. Einige Eigenschaften von diesem früheren Job scheint er sich bis heute erhalten zu haben: Zum Mittagsinterview öffnet er sein erstes Beck's. Sonst aber hat er sich größere Aufgaben vorgenommen: "Die Architektur ist in der Lage, die Lebensbedingungen der Menschen zu verbessern." Auch wenn er es nicht sein will: Ein bisschen ist Alejandro Aravena dann doch der Robin Hood unter den Architekten.

© SZ vom 28.05.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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