Profil:Alan Gilbert

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Neuer Chefdirigent des NDR Elbphilharmonie Orchesters mit starken Nerven.

Von Helmut Mauró

Er gibt der Musik viel Zeit. Er hat die Nerven, einen Klang so langsam aus dem Orchester heraus zu entwickeln, bis er optimale Wirkung entfaltet. Der New Yorker Dirigent Alan Gilbert, 1967 in dieser Stadt geboren, seit 2009 Chefdirigent der New Yorker Philharmoniker und in der Nachfolge von Thomas Hengelbrock ab der Spielzeit 2019/20 neuer Chef des NDR-Elbphilharmonie-Orchesters, hat die Ruhe und Souveränität, sich alle Zeit der Welt zu nehmen. Manchmal, zum Beispiel bei Orchesterliedern von Richard Strauss, ist es dann auch ein bisschen zu viel.

Gilbert ist zumindest musikalisch ein Gegenpol zum hektischen Dirigierbetrieb. Und dies, obwohl er sich ausführlich mit neuen Medien und Kommunikationsformen beschäftigt, vor allem mit der Frage, wie er nun bei seiner Ernennung sagte, was ein Orchester heute sein kann und sein soll. Gilbert will die Konzerte für jedermann öffnen, sucht nach neuen Wegen der Kontaktaufnahme mit den musikfernen Teilen der Bevölkerung. Dabei engagiert er sich auch politisch, lud nach Trumps Einreisestopp für Muslime ausdrücklich Musiker aus Iran und dem Irak ein, mit ihm in New York aufzutreten.

Seine Karriere verlief nach dem Musikstudium in Harvard, an der New Yorker Juilliard School und am Curtis Institute in Philadelphia zügig und steil, und vielleicht ermöglicht ihm der scheinbar unproblematische Aufstieg die innere Sicherheit, die für große Symphonik so entscheidend ist. Dazu ist er positiv vorbelastet, beide Eltern geigten bei den New Yorker Philharmonikern, aber Gilbert, der selber Geige lernte, schlug erfolgreich seinen eigenen Weg ein: 1994 wurde er mit dem ersten Preis beim Concours de Genève ausgezeichnet, einem der renommiertesten internationalen Musikwettbewerbe. Von 1995 bis 1997 assistierte er Christoph von Dohnányi beim Cleveland Orchestra, 2000 wurde er Chefdirigent der Königlichen Philharmoniker Stockholm und behielt diese Position acht Jahre lang. In diesem Orchester spielte auch die Cellistin Kajsa William-Olsson, seine spätere Frau.

Nicht nur diese Konstellation erforderte rege Reisetätigkeit zwischen den USA und Europa, sondern auch eine zusätzliche Aufgabe als Musikdirektor der Oper von Santa Fe, die ihm 2003 angetragen wurde. Drei Jahre lang wirkte er dort, und 2004 wurde er gleichzeitig Erster Gastdirigent des NDR-Symphonieorchesters. Dirigent und Orchester verstanden sich bestens, es folgten gemeinsame Tourneen.

2009 war es dann so weit: Gilbert folgte Lorin Maazel als Musikdirektor der New Yorker Philharmoniker - der erste, der aus dieser Stadt stammte. In die TV-Nachrichten geriet er allerdings damit, dass er ein Konzert wegen eines anhaltenden Handy-Klingelns unterbrach. Das New Yorker Publikum feierte ihn dafür. Dennoch suchte Gilbert nach neuen Aufgaben, übernahm zahlreiche Gastdirigate in aller Welt und kündigte bereits 2015 an, im Jahr 2017 von seinem Chefposten in New York zurückzutreten.

Er hat den New Yorker Philharmonikern zu einem neuen frischen Klang verholfen, und eine ähnliche Aufgabe erwartet ihn ab 2019 in Hamburg. Gilbert scheint dafür auch der richtige Mann zu sein: "Bei aller Demokratie, die heute in den Orchestern herrscht und trotz der globalen Verbreitung und Angleichung der individuellen Orchesterklänge ist das künstlerische Profil am schärfsten, wenn es von einer Persönlichkeit bestimmt wird", sagte er einmal. Das Profil des NDR-Elbphilharmonie-Orchesters muss er so weit schärfen, dass es international als eigenständige und gleichwertige Größe wahrgenommen wird. Man konnte durch den Bau der Elbphilharmonie, die Gilbert schlicht "a wonder" nennt, schon jetzt die Zahl der Abonnenten verdreifachen und viel neues Publikum gewinnen. Das Orchester aber muss endlich nachziehen und das Renommee erreichen, das sein Konzertsaal schon geschafft hat. Der Fünfjahresvertrag mit Gilbert ist dafür ein guter Anfang.

© SZ vom 24.06.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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