Profil:Achille Mbembe

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Achille Mbembe: Afropolitan und Geschwister-Scholl-Preisträger. (Foto: David Harrison/dpa)

Interessanter Denker, Afropolitan und Geschwister-Scholl-Preisträger.

Von Tim Neshitov

Achille Mbembe ist in erster Linie ein interessanter Denker, aber er ist auch, was man inzwischen einen Afropolitan nennt - einer jener Weltbürger mit afrikanischen Wurzeln, die sich in den Metropolen dieser Erde zu Hause fühlen. Den umstrittenen Begriff hat die Bestseller-Autorin Taiye Selasi erfunden, die sich selbst zu dieser Gattung zählt. Umstritten ist der Begriff, weil er interessante Denker (oder Architekten: David Adjaye, oder Kuratoren: Okwui Enwezor) zart und leise auf ihre afrikanische Herkunft festnagelt.

Achille Mbembe, geboren 1957 in einem Dorf in Kamerun und ausgebildet in Paris, ist sozusagen ein offensiver Afropolitan: Er nimmt seine Herkunft zum Anlass, um über die conditio humana nachzudenken. Eine griffige These von Mbembe lautet: Die Welt werde nun schwarz. Für sein Buch "Kritik der schwarzen Vernunft" von 2013, in dem er diese These darlegt, erhielt Mbembe am Montag den Geschwister-Scholl-Preis in München.

Es geht Mbembe nicht darum, dass Afrikaner bald die Weltherrschaft übernehmen. Er glaubt vielmehr, dass immer mehr Erdbewohner unabhängig von ihrer Hautfarbe so behandelt werden, wie die Europäer und die Nordamerikaner jahrhundertelang "die Neger" behandelt haben. Das Wort "Neger" ist Mbembe wichtig, es ist für ihn mehr als ein rassistisches Schimpfwort, es ist eine anthropologische Kategorie. "Neger" zeichneten sich dadurch aus, dass man sie enteigne, ihnen keine Möglichkeit der Selbstbestimmung lasse, sie der Zukunft und der Zeit beraube. Je entfesselter der Kapitalismus, je krakenhafter die Digitalglobalisierung, desto schneller verwandeln sich Menschen in Objekte, in "belebte Dinge", wie Mbembe schreibt, "in digitale Daten und Codes".

Mbembe ist von Haus aus Historiker und Politikwissenschaftler, sein Steckenpferd ist die Theorie des Postkolonialismus. Es ist schwer, nach Frantz Fanon oder Ngũgĩ wa Thiong'o etwas Neues und Leidenschaftliches in Sachen Postkolonialismus zu sagen. Mbembe aber hat seine Stimme gefunden - nicht zuletzt indem er postkoloniale Wut und Selbstkritik in globale Zukunftsanalysen einflicht und so das große afrikanische Trauma wie die DNA der Weltgeschichte aussehen lässt.

Seine Studenten an der Witwatersrand-Universität in Johannesburg dürften froh sein, dass Professor Mbembe nach Afrika zurückgekehrt ist. Er hat bereits in Yale unterrichtet, in Boston, Berkeley und an der Columbia University. Seine Texte zeugen davon, dass er sich dabei eine afrikanische Perspektive beibehielt. Der Nicht-Afrikaner Thomas Friedman etwa, der Weltendeuter der New York Times, sieht in der gleichen neuen Welt nicht die Entstehung von mehr "Negern", sondern von mehr Menschen, die endlich die Chance hätten, sich zu verwirklichen ("Die Welt ist flach"). Griffige Thesen sind relativ. Unterricht ist greifbar. Bereits in seiner Jugend unterrichtete Mbembe analphabetische Bauern in Nordkamerun.

© SZ vom 01.12.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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