Präsidentenwahl in Polen:Komorowski verfehlt absolute Mehrheit

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Favorit Komorowski gewinnt die Präsidentenwahl knapp. Doch er muss am 4. Juli noch einmal gegen Kaczynski antreten. Für die Stichwahl wird ein Kopf-an-Kopf-Rennen erwartet.

Thomas Urban, Warschau

Der konservative und proeuropäische Parlamentspräsident Bronislaw Komorowski hat am Sonntag die erste Runde der vorgezogenen Präsidentenwahlen in Polen für sich entschieden. Hochrechnungen vom Abend zufolge entfielen auf ihn rund 41 Prozent der Stimmen. Da er aber die absolute Mehrheit verfehlte, wird es zu einer Stichwahl gegen den Zweitplatzierten kommen, den national-konservativen Oppositionsführer Jaroslaw Kaczynski, der etwa 36 Prozent der Wähler hinter sich brachte.

Schwaches Lächeln: Bronislaw Komorowski ist die Enttäuschung über das Wahlergebnis deutlich anzumerken. (Foto: rtr)

Die Wahlen waren nach dem Tod des bisherigen Staatspräsidenten Lech Kaczynski bei einem Flugzeugabsturz nahe der russischen Stadt Smolensk vor zehn Wochen angesetzt worden. Die Wahlbeteiligung lag bei knapp 55 Prozent.

Für die Stichwahl am 4. Juli wird ein Kopf-an-Kopf-Rennen erwartet. Da der Termin in den Sommerferien liegt, wird mit einer niedrigeren Wahlbeteiligung gerechnet. Dies dürfte sich laut Warschauer Politologen zugunsten von Kaczynski auswirken, der über eine hochmotivierte Anhängerschaft verfügt.

Die anderen acht Kandidaten waren am Sonntag weit abgeschlagen: Am drittmeisten Stimmen erhielt der junge Vorsitzende des Demokratischen Linksbündnisses, der 36-jährige Grzegorz Nieparalski. Für ihn entschieden sich etwa 14 Prozent der Wähler. Hingegen kam der radikale Bauernführer Andrzej Lepper, der vor drei Jahren noch Vizepremier und Agrarminister unter Jaroslaw Kaczynski war, aber im Streit mit diesem die damalige Regierungskoalition gesprengt hatte, nicht über anderthalb Prozent hinaus.

Komorowski, der der Regierungspartei Bürgerplattform (PO) unter Premierminister Donald Tusk angehört, erklärte zwar, er sei glücklich über das Wahlergebnis. Doch war ihm seine Enttäuschung deutlich anzumerken. Mehrere Meinungsforscher hatten ihn noch in der vergangenen Woche über 50 Prozent gesehen. Lange hatte er als sicherer Favorit gegolten. Gemeinsam mit Tusk appellierte er an seine Anhänger: "Lasst uns all unsere Kräfte für das große Finale am 4. Juli mobilisieren!"

Der 58-Jährige tritt für eine weitere Integration Polens in westliche Strukturen ein. Wie Tusk spricht er sich für die Einführung des Euro in den nächsten fünf Jahren aus. Hingegen hatte Kaczynski immer wieder erklärt, Polen solle vorläufig am Zloty festhalten. Wie sein verstorbener Zwillingsbruder begrüßt er zwar die Zugehörigkeit Polens zur Europäischen Union, doch propagiert er ein "Europa der Vaterländer" in der die Kompetenzen Brüssels beschnitten werden.

Ursprünglich waren die Präsidentenwahlen für September angesetzt, Lech Kaczynski galt als chancenlos gegenüber Komorowski. Doch das Flugzeugunglück am 10. April hat die politische Stimmung im Land geändert. Lange überschattete die Untersuchung des Flugzeugabsturzes, bei dem alle 96 Personen an Bord ums Leben gekommen waren, die Wahlkampagne.

Die Piloten hatten die polnische Präsidentenmaschine in dichtem Nebel auf dem russischen Flughafen Smolensk landen wollen, doch war sie in einem Waldstück einen halben Kilometer vor der Landebahn zerschellt.

Mitgefühl hilft Jaroslaw Kaczynski

Ein Großteil der Polen empfand Mitgefühl für Jaroslaw Kaczynski, den überlebenden Zwilling, der noch vor wenigen Monaten einen der letzten Plätze der Popularitätsskala eingenommen hatte. Doch hatten sich in den vergangenen Wochen seine Umfragewerte denen Komorowskis immer mehr angenähert.

Komorowski und Kaczynski kennen sich seit mehr als drei Jahrzehnten, sie waren beide in der Demokratiebewegung um die Gewerkschaft Solidarität aktiv. Tusk, der ebenfalls der Solidarnosc angehörte, hatte auf eine Kandidatur verzichtet, weil er nach internen Analysen der PO nicht als sicherer Kandidat gelten konnte. Er hatte bereits die Stichwahl um das Präsidentenamt 2005 gegen Lech Kaczynski verloren, nachdem er die erste Wahlrunde noch für sich entschieden hatte.

Tusk steht in den Augen seiner Landsleute zwar für Modernisierung, nicht unbedingt aber für Tradition und Patriotismus. Der konservative Komorowski, der aus einem alten Grafengeschlecht stammt, hatte seinen Beratern zufolge wesentlich bessere Chancen, eine Mehrheit zu bekommen.

© SZ vom 21.06.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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