Philippinen:Ratlos vor dem Trümmerhaufen

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Marawis Ruinen zeugen von einer zweifelhaften Strategie – die Soldaten waren im Häuserkampf kaum geübt. (Foto: Romeo Ranoco/Reuters)

Die philippinische Armee vermeldet einen Sieg gegen den IS in Marawi - doch viele Sorgen bleiben.

Von Arne Perras, Singapur

Bilder von jubelnden Soldaten machten die Runde, sie schwenkten die philippinische Fahne, reckten ihre Fäuste, es sah so aus, als feierten sie den lang ersehnten Sieg. Nach 154 Tagen Häuserkampf scheint die Schlacht um Marawi im Süden der Philippinen nun zu Ende zu sein. Man muss es so vorsichtig formulieren, denn das Militär hat selbstgesetzte Fristen für die Befreiung der von Terroristen kontrollierten Stadt immer wieder verschoben. Nun aber verkündete Verteidigungsminister Delfin Lorenzana das Ende aller Kampfhandlungen. Und fügte hinzu: "Es gibt keine Kämpfer mehr in Marawi." Damit meinte er jene Terroristen, die fünf Monate lang die Stadt besetzt hielten und den größten Kriegseinsatz in der jüngeren philippinischen Geschichte provozierten.

Wenige Stunden zuvor hatte Lorenzanas Truppe noch um das angeblich letzte Haus gekämpft, in dem sich IS-Anhänger verschanzt hatten. Doch auch dieses Gefecht war bald vorüber, die Armee sprach von 42 erschossenen Terroristen, die sie im Inneren des eroberten Gebäudes gefunden habe, vorerst die letzten gemeldeten Toten auf der langen Liste von Marawi.

Ein Präsidentensprecher versicherte, sein Land habe die bislang größte Bedrohung durch gewaltsamen Extremismus in Südostasien beendet. Nur dass es manchen Philippinern nicht so leicht fällt, das zu glauben. Kann es nicht sein, dass viele Terroristen unentdeckt geflohen sind? Und dass sie versuchen werden, sich neu zu gruppieren? Selbst Sicherheitsanalysten fällt es schwer einzuschätzen, wie stark der IS in Südostasien ist. Dass sie Marawi fast ein halbes Jahr lang halten konnten, deutet auf Entschlossenheit, gute Planung, finanzielle Mittel und eine militärische Ausbildung hin. Doch wer von all den Gruppen im Süden der Philippinen zum IS hält und wer gegen ihn ist, lässt sich angesichts der Zersplitterung der Milizen nur schemenhaft ausmachen. Die Grenzen zwischen bewaffnetem Separatismus, Banditentum und Terror bleiben unscharf.

Auch lenkt die Rhetorik der Sieger von den Schwächen der Streitkräfte ab. Die Ruinen der Stadt zeugen von einer zweifelhaften Strategie. Im Häuserkampf waren die Soldaten kaum geübt, deshalb setzten sie auf Luftangriffe. Sie bombten nahezu die ganze Innenstadt in Schutt und Asche, was den Scharfschützen des mobilen Feindes aber nur begrenzt zusetzte. Gegnerische Kämpfer fanden in Tunneln und Kellern Deckung, sie organisierten Nachschub, die Armee erlitt große Verluste. Dass der Gegner so gut ausgebildet war und taktisch geschickt agierte, hat die Truppe irritiert. Nun stehen alle vor einem riesigen Trümmerhaufen, was die Sympathien der Bewohner für die Armee nicht gerade stärkt.

"Die Regierung darf beim Wiederaufbau jetzt keine Fehler machen", warnt Norodin Alonto Lucman, Chef eines einflussreichen Clans in Marawi. Ansonsten werde es schwer für den Staat, die frustrierten Bewohner zu besänftigen. Zwar waren viele Einheimische entsetzt, als eine mit dem IS verbündete lokale Miliz die Stadt stürmte. Die Bande besetzte Häuser, nahm Geiseln, köpfte Christen. Doch in Marawi vertrauen die Leute auch der Zentralregierung in Manila nicht besonders. Die Stadt liegt auf der südlichen Insel Mindanao, wo eine muslimische Minderheit seit Jahrzehnten mehr Eigenständigkeit fordert. Dafür kämpfen einige Separatistengruppen. Die älteren haben sich nicht dem IS angeschlossen, sie wollen Frieden. Die Terrormiliz findet Verbündete in radikalen Splittergruppen, die junge Leute anziehen und sich auch mit Kämpfern aus dem Ausland vernetzen. Eine solche Gruppe hatte am 23. Mai die Stadt überrannt. Als die Armee auf professionelle Scharfschützen stieß und keinen Weg fand, die Kontrolle zu gewinnen, war klar: Die Terrormiliz hatte sich lange auf diesen spektakulären Sturm vorbereitet.

Nun aber, nach 154 blutigen Tagen, sind 939 Terroristen tot, darunter zwei Anführer. Das dürfte den IS in der Region schwächen. Dennoch bleibt die Angst vor jenen, die womöglich unentdeckt fliehen konnten. Als größte Bedrohung gelten jedoch jene einheimischen Extremisten, die einst in den Nahen Osten zogen, um fürs Kalifat zu kämpfen, und die nun zurückkehren. Und so berieten sich am Montag auch die Verteidigungsminister des Staatenbundes Asean, wie sie den Risiken begegnen könnten. Die Vernetzung des Terrors hat die Länder zur Kooperation zwischen Armeen und Sicherheitsdiensten gezwungen. Die Regierungen Südostasiens sind wachsamer geworden, geschockt von Schicksal Marawis in ihrer Nachbarschaft. Das wollen sie kein zweites Mal erleben.

© SZ vom 24.10.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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