Peking riegelt Tibet ab:Militär gegen Mönche

Lesezeit: 3 min

Der Tag des tibetischen Aufstands jährt sich zum 50. Mal: Chinas Führung zeigt sich nervös: Soldaten riegeln Klöster in Lhasa ab. Jeder Protest soll verhindert werden.

Henrik Bork, Peking

Kaum ist der Winter vorüber, hat in Tibet die Saison der Proteste begonnen. Kurz vor dem 10. März, dem unruhigsten Tag von allen, ist die Lage gespannter als je zuvor. Diesmal immerhin ist Chinas kommunistische Führung vorbereitet.

Ein Mönch beobachtet die tibetischen Neujahresfeierlichkeiten in einem Tempel in China. In Tibet haben Soldaten und paramilitärische Kräfte rund um die wichtigsten Klöster Stellung bezogen. (Foto: Foto: AP)

Soldaten und paramilitärische Kräfte haben rund um die wichtigsten Klöster Stellung bezogen. Auf den Dächern von Lhasa, auf jedem Marktplatz in Tibet sind Beamte der Staatssicherheit mit Videokameras stationiert.

Für Ausländer ist die gesamte Region bis April komplett geschlossen. Touristen erhalten keine Reisegenehmigungen, ausländische Journalisten erst recht nicht.

In Peking hat unterdessen ein anderes festes Ritual der Volksrepublik angefangen. Knapp 3000 kommunistische Abgeordnete haben sich, wie jeden März, in der Großen Halle des Volkes zu ihrer jährlichen Sitzung versammelt.

Ausgerechnet während dieser Sitzung hatten voriges Jahr die Proteste in Tibet begonnen, was der Partei nicht nur die Schau stahl, sondern sie vor den Augen der Welt blamierte.

Am 10. März vor einem Jahr hatten einige Hundert Mönche des Klosters Drepung mit einem friedlichen Protestmarsch an die blutige Niederschlagung des tibetischen Volksaufstandes vom 10. März 1959 erinnert, die zur Flucht des Dalai Lama ins Exil geführt hatte.

Nach einer kurzen Phase der Zurückhaltung waren die Sicherheitskräfte auch vergangenes Jahr brutal gegen unbewaffnete Demonstranten vorgegangen, sogar mit gezielten Todesschüssen, um die Revolte zu unterbinden.

Tagelang hatten Lhasa und viele Orte auf dem tibetischen Hochplateau einer Bürgerkriegszone geglichen. Mehr als 200 Tibeter starben, aber auch Dutzende Han-Chinesen wurden von Tibetern ermordet. Die Parteiführung sah sich kurz vor den Olympischen Spielen international im Kreuzfeuer der Kritik.

In diesem Jahr hat die Staatsgewalt im Vorfeld hart durchgegriffen, um jeden Anflug von Protesten im Keim zu ersticken. Die Klöster Drepung und Sera bei Lhasa, bekannte Hochburgen tibetischen Widerstandes gegen die chinesische Besatzung, sind von Paramilitärs umstellt.

Die Handys der Mönche sind konfisziert worden, berichten tibetische Quellen. Die Sicherheitskräfte zeigen offensiv ihre Präsenz. Spezialtruppen mit Helmen, Schilden und Gewehren kontrollieren eine Zufahrtsstraße zum Kloster Sera. Auf den Dächern in der Nähe des Klosters Drepung sind Scharfschützen der Polizei zu sehen.

"Sie kommen, trinken eine Tasse Tee mit dir und plaudern"

Die chinesischen Behörden haben auch die Zahl der Mönche in den meisten Klöstern reduziert, im Fall von Drepung Augenzeugenberichten zufolge auf etwa 500 von vormals 2000 Mönchen. Und nicht nur die Geistlichen, auch als politisch unzuverlässig eingestufte Tibeter bekommen seit Monaten regelmäßig Besuche von Beamten der Staatssicherheit oder Armee-Offizieren.

"Sie kommen, trinken eine Tasse Tee mit dir und plaudern", sagt ein Lebender Buddha in einem tibetischen Dorf der Provinz Sichuan, unweit der Autonomen Provinz Tibet. "Sie haben es nicht nötig, direkte Drohungen auszustoßen. Wir hören täglich die Schreie ihrer Soldaten beim Bajonettdrill hinter der Kasernenmauer."

Nie in den vergangenen drei Jahrzehnten, seit Chinas Politik der "Reform und Öffnung" begonnen hat, war eine ganze Region der Volksrepublik dermaßen von der Außenwelt abgeriegelt und von Truppen besetzt. Entlang der Überlandstraßen auf dem Hochland sind neue Checkpoints entstanden. Soldaten liegen dort hinter Sandsäcken, ihre Schnellfeuergewehre im Anschlag. Während es tagsüber nur sporadisch Kontrollen gibt, wird nach Einbruch der Dunkelheit jedes einzelne Fahrzeug durchsucht.

Vereinzelte Demonstrationen

Trotz dieser massiven Überwachung kommt es immer wieder zu vereinzelten Demonstrationen. Ende Februar marschierte ein tibetischer Mönch aus dem Kloster Kirti in Sichuan auf die Straße, dabei hatte er eine selbstgemalte tibetische Flagge mit einem Bild des Dalai Lama. Dann übergoss er sich mit Benzin und setzte sich vor den Augen einiger Zuschauer in Flammen.

Protibetische Menschenrechtsgruppen im Ausland und die chinesische Regierung sind sich uneinig, was anschließend geschah. Die Tibeter behaupten, Sicherheitskräfte hätten den brennenden Mönch erschossen. Dies seien Lügen, behauptet die chinesische Regierung. Die Polizisten hätten nur die Flammen gelöscht. Auf jeden Fall wurde der Mönch in einem Fahrzeug der Polizei abtransportiert. Es ist unbekannt, ob er noch lebt. Mehr als tausend Tibeter, die nach den Unruhen des vergangenen Jahres verhaftet worden waren, sind noch immer im Gefängnis.

Schon vor den Unruhen 2008 waren es vor allem anhaltende Repressalien der Behörden gegen die Mönche gewesen, die Unmut hervorgerufen hatten. So waren Tausende Mönche und Nonnen gezwungen worden, in politischen Schulungssitzungen den Dalai Lama zu verunglimpfen.

Da einem gläubigen Tibeter, ganz besonders aber einem tibetischen Mönch oder einer tibetischen Nonne nichts auf Erden heiliger ist als der Dalai Lama, schürten diese Sitzungen viel Hass. Diese Schulungen sind erneut verschärft worden. Den Tibetern in abgelegenen Dörfern wird Augenzeugenberichten zufolge auch mit standrechtlichen Erschießungen gedroht, sollten sie für den Dalai Lama protestieren.

Geschichtsumzuschreibung mit plumpen Mitteln

Historische Daten wie der 10.März sind jedoch mehr als nur der Anlass für solche tragischen Szenen. Die Auseinandersetzung über die Geschichte steht im Zentrum des Konflikts zwischen der chinesischen Führung und den Tibetern. Peking versucht, die Geschichte umzuschreiben. Auch dies geschieht in diesem Jahr mit plumpen Mitteln.

Als Antwort auf den 10. März hat die Zentrale gerade den 28. März zu einem tibetischen Feiertag erklärt, zum "Tag der Emanzipation der Leibeigenen". Es ist der Tag, an dem 1959 die siegreichen chinesischen Truppen in Tibet nach der Flucht des Dalai Lama die Auflösung der alten tibetischen Regierung erklärten.

Für die Tibeter ist es ein Tag der Schmach, und ihnen ausgerechnet an diesem Tag Feiern zu verordnen, wirkt wie eine bewusste Provokation. Es ist, als wäre den Hardlinern in Peking dieser März noch nicht heiß genug.

© SZ vom 06.03.2009/af - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: