Pakistan:Meister des Doppelspiels

Viele Staaten halten sich eine Armee, die pakistanische Armee hält sich einen Staat. Zum 70. Geburtstag der Nation ist die Macht der Generäle ungebrochen.

Von Tobias Matern

Eigentlich ist er in Ungnade gefallen, in Schimpf und Schande haben ihn die Menschen seinerzeit vom Hof gejagt. Doch das hält Pervez Musharraf nicht davon ab, selbstbewusst seine Sicht zu verbreiten: Zivile Regierungen, erklärt der frühere Präsidentengeneral Pakistans im BBC-Interview, hätten das Land "zum Entgleisen" gebracht. Die Retter der Nation seien die Uniformierten - Männer wie er: "Die Militärherrschaft führt das Land immer auf den richtigen Weg." So sieht das nicht nur Musharraf selbst, der Pakistan nach einem Coup von 1999 bis 2007 regierte. Er drückt damit die allgemeine Geisteshaltung der Generäle aus.

Mit dem Militär verbandelte Firmen stellen Cornflakes und Waschmittel her

Der pakistanische Staat, so eine gängige Weisheit über das "Land der Reinen", hält sich keine Armee, sondern die pakistanische Armee hält sich einen Staat. Keine außen- oder sicherheitspolitische Entscheidung von Belang fällt ohne ihr Plazet, sie kann zivile Regierungen päppeln, fallen lassen, oder vor sich her treiben - ganz nach Belieben. Und sie ist auch als ökonomische Macht aktiv: Auf etwa 20 Milliarden Dollar beziffert die pakistanische Expertin Ayesha Siddiqa das privatwirtschaftliche Volumen des Militärs. Mit der Armee verbandelte Fabriken stellen Cornflakes, Waschmittel, Zement und Zucker her, auch werden Finanzdienstleistungen, Arbeitsvermittlungen und Energieleistungen angeboten. "Wir haben uns zu einer unpolitischen Gesellschaft entwickelt", sagt Siddiqa, "in der es die Armee auf natürliche Weise schafft, sich beliebt zu machen: durch das Versagen politischer Regierungen, durch die Machenschaften der Politiker und durch Medien, die mit Schmutz um sich werfen."

Die Armee hat, wenn die muslimische Nation an diesem Montag ihren 70. Jahrestag feiert, etwa die Hälfte der Zeit das Land offen regiert und die andere Hälfte die Fäden im Hintergrund gezogen. Sie hat militärische Niederlagen verwunden und schlechte Phasen eigener Regentschaft hinter sich gelassen. Sogar die Peinlichkeit, dass sich Osama bin Laden jahrelang in einer pakistanischen Garnisonsstadt versteckte, hat ihrem Image nicht nachhaltig geschadet. Die Armee hat es geschafft, den Pakistanern das Gefühl zu geben, sie sei die einzige Hüterin des Landes.

Die Generäle gelten im Volk längst nicht mehr als ruchloser Unterdrücker, sondern als Vertreter einer Institution, die eine korrupte politische Klasse in die Schranken weist: Armeechefs genießen seit Jahren Respekt, manchmal sogar Kultstatuts in Pakistan. Anders die Politiker. Das Oberste Gericht hat jüngst Premierminister Nawaz Sharif aus dem Amt gedrängt. Nach Enthüllungen aus den Panama Papers über das dubiose Finanzgebaren der Sharif-Familie sah es das Gericht als erwiesen an, dass der Premierminister regierungsuntauglich sei. Für diese Einschätzung stützen sich die Richter einerseits auf eine Ermittlungskommission, in der zwei der sechs Mitglieder dem militärischen Establishment angehören. Andererseits beriefen sie sich auf eine Passage in der Verfassung, die noch aus der dunklen Zeit der Militärdiktatur von Zia ul-Haq stammt und dehnbar wie Gummiband ist: "Unehrliche" Politiker dürfen demnach aus dem Amt entlassen werden.

Pakistan: An der pakistanischen Armee wird der Staat nicht so schnell sparen. Sie gilt als eine der mächtigsten Institutionen im Land und vielen Pakistanern als Bollwerk gegen den Erzfeind Indien.

An der pakistanischen Armee wird der Staat nicht so schnell sparen. Sie gilt als eine der mächtigsten Institutionen im Land und vielen Pakistanern als Bollwerk gegen den Erzfeind Indien.

(Foto: Anjum Naveed/AP)

General Zia ul-Haq, der das Land von 1977 bis 1988 regierte, betrieb auch eine ideologische Radikalisierung des Landes, die sich die USA einst zunutze machten. Washington setzte auf Pakistans militärischen Geheimdienst, um die Mudschahedin im Nachbarland Afghanistan für den Kampf gegen die sowjetischen Besatzer zu rüsten: Die ungläubigen Russen, bekamen die "Gotteskrieger" eingeimpft, müssten von standhaften Muslimen aus der Region vertrieben werden.

Die Folgen dieser Strategie wirken bis heute nach: Die Taliban sind die ideologischen Nachkommen jener Zeit, viele von ihnen wurden in einer pakistanischen Koranschule radikalisiert. Ihre Feinde sind heute nicht mehr die Russen, sondern die US-Soldaten und deren verbündete afghanische Regierungstruppen.

Verbündeter oder Feind? Die Frage treibt Washington um. Pakistanische Generäle, etwa Musharraf, gelten als Meister des Doppelspiels. Einerseits geben sie dem Westen das Gefühl, die letzte Verteidigungslinie im Kampf gegen Extremismus zu sein, andererseits dulden oder päppeln sie extremistische Elemente, etwa für den Kampf gegen Erzfeind Indien.

Pakistans Armee weist paradoxe Züge auf: Lange Zeit ließ sie Extremisten im eigenen Land gewähren, aber setzt inzwischen auf robuste Missionen gegen die pakistanischen Taliban in den Stammesgebieten. Terroristische Anschläge sind dadurch zurückgegangen. Im benachbarten Afghanistan hingegen, da sind sich nicht nur westliche Geheimdienste sicher, setzt Pakistans Establishment nach wie vor auf die Taliban, um seine Interessen für eine Nachkriegsordnung durchzusetzen: eine in ihrem Sinne dominierte Regierung in Kabul. Dieser Widerspruch - Kampf gegen Extremisten im eigenen Land, Unterstützung von Extremisten im Nachbarland - lässt Washington einerseits an Pakistan verzweifeln, andererseits gibt es auch keine Alternative zu diesem dubiosen Verbündeten. Wenn westliche Premiers und Präsidenten Islamabad besuchen, treffen sie den Regierungschef, wichtiger ist aber der Termin beim Armeechef.

Pakistan

202 Mio. Einwohner

1,5 Mio. Soldaten

8,7 Mio. $ Militärbudget

7257 km Außengrenzen

Was treibt die Generäle, von denen viele im Westen ausgebildet wurden, denen aber auch eine ideologische Nähe zu radikalem Gedankengut nachgesagt wird? Dies sei "wahrscheinlich die größte Unbekannte in dem Spiel", sagt Pakistan-Experte Christian Wagner von der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP). Taliban-Gruppen im eigenen Land dulde das Militär nun zwar nicht mehr, aber es sei "unklar, ob und inwieweit es in den letzten Jahren innerhalb der Armee gelungen ist, religiös orientierte Generäle auf vergleichsweise unwichtige Posten zu versetzen". Die USA hätten durch ihren Boykott der militärischen Zusammenarbeit in den 1990er-Jahren den Kontakt zu einer ganzen Generation zentraler Entscheider in der pakistanischen Armee verloren.

Washington sucht nach Wegen, Pakistans Doppelspiel zu beenden. Andererseits wissen die USA: Ohne Islamabads Hilfe wird es keinen Frieden in Afghanistan geben. Nur zu welchem Preis - das kann niemand beziffern.

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