Osama bin Ladens Versteckspiel:Zehn Jahre auf der Flucht, fünf Häuser, vier Kinder

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Auch ein Jahr nach seinem Tod ist nicht klar, wie der meistgesuchte Terrorist der Welt fast zehn Jahre untertauchen konnte. Das Vernehmungsprotokoll seiner jüngsten Frau liefert jetzt die bislang detailliertesten Informationen zur Flucht Osama bin Ladens und zeigt, wie nahe die US-Armee dem Al-Qaida-Führer war - ohne ihn zu entdecken.

Fast zehn Jahre hat die Jagd auf den meistgesuchten Terroristen der Welt gedauert. Fast zehn Jahre versuchten Ermittler, Osama bin Laden zu fassen. Bis ihn am 2. Mai 2011 eine Spezialeinheit der US-Armee in Abbottabad, im Norden Pakistans, erschoss. Das Kapitel Bin Laden ist für die US-Geheimdienste allerdings auch ein knappes Jahr später nicht geschlossen.

Eines der letzten Bilder Osama bin Ladens: Der Al-Qaida-Führer sieht in Abbottabad fern.  (Foto: REUTERS)

Wie konnte es sein, dass Bin Laden so lange unentdeckt blieb, wieso wurde er so lange nicht gefunden? Immer noch sind viele Fragen offen. Aussagen der jüngsten Frau Bin Ladens, Amal Ahmad Abdul Fateh, liefern jetzt die bislang detailliertesten Informationen zum Leben des Al-Qaida-Führers auf der Flucht.

Einem offiziellen pakistanischen Polizeibericht vom 19. Januar 2012 zufolge, aus dem die New York Times zitiert, war Bin Laden nach den Anschlägen vom 11. September 2001 neun Jahre lang in Pakistan untergetaucht. In dieser Zeit hätten er und seine Familie demnach abwechselnd in fünf verschiedenen Häusern gelebt - und Bin Laden habe vier Kinder gezeugt, von denen mindestens zwei in staatlichen Krankenhäusern auf die Welt gekommen seien.

Sollte sich bestätigen, was in dem Bericht steht, ist das US-Militär Bin Laden vor allem im Jahr 2005 sehr nahe gekommen. Es ist demnach wahrscheinlich, dass nach einem Erdbeben im Nordwesten Pakistans, das mehr als 70.000 Menschen das Leben kostete, US-Helikopter mit Hilfsgütern wochenlang über das Versteck des Al-Qaida-Führers hinweg flogen - ohne es zu bemerken.

Der Bericht enthält offenbar nur wenig neue Informationen über die Helfer Bin Ladens in Pakistan. Allerdings wirft er neue Fragen darüber auf, wie es Bin Laden möglich war, mit seiner Familie so lange in Pakistan unentdeckt zu bleiben. In einem Land, das eigentlich über einen fähigen Geheimdienst verfügt. Nicht erst seit seinem Tod wird darüber spekuliert, dass Pakistans Geheimdienst Bin Laden gar nicht finden wollte, ihm möglicherweise bei seiner Flucht sogar behilflich war.

Drei der Witwen Bin Ladens, die während der Erstürmung des Hauses in Abbottabad bei dem damals 54-Jährigen Bin Laden waren, befinden sich immer noch in pakistanischer Haft. Sie waren nie Al-Qaida-Mitglieder, werden allerdings beschuldigt, unerlaubt nach Pakistan eingereist zu sein. In den vergangenen Monaten wurden sie immer wieder von den pakistanischen Behörden befragt.

Wie der Guardian berichtete, hatte der ehemalige pakistanische Offizier Shaukat Qadir bereits vor einigen Wochen Informationen aus Befragungsprotokollen an die Öffentlichkeit gegeben. Daraus war beispielsweise zu entnehmen, dass Bin Laden sich bereits im Jahr 2002 einer Nierentransplantation unterzogen hat. Zuvor war lange spekuliert worden, wie er mit einem bekannten Nierenversagen auf der Flucht ohne Dialyse überleben konnte. Qadir behauptete außerdem, Bin Laden sei senil gewesen und bereits 2003 als Al-Qaida-Führer abgelöst worden.

Fateh bestätigt das mit ihren Aussagen allerdings nicht. Nur sie, die jüngste der drei verhafteten Witwen Bin Ladens kooperiert offenbar mit den pakistanischen Behörden. Die beiden älteren Frauen, die in Gerichtsunterlagen unter den Namen Kharia Hussain Sabir und Siham Sharif geführt werden und die beide, wie Bin Laden selbst, aus Saudi-Arabien stammen, haben laut New York Times bislang kaum etwas ausgesagt. Fateh, die während der Erstürmung des Hauses in Abbottabad verletzt wurde, gibt dagegen bereitwillig Auskunft.

So sagte sie dem Polizeiprotokoll zufolge, dass sie Bin Laden im Jahr 2000 geheiratet habe, weil sie ein Verlangen danach verspürte, einen islamischen Gotteskrieger, einen Mudschahid zu heiraten. Kurz nach dem 11. September 2001 sei die Familie dann jedoch getrennt worden, sie selbst sei mit einer neugeborenen Tochter in die Millionenstadt Karatschi ganz im Süden Pakistans geflohen.

Gefälschte Ausweispapiere im Krankenhaus

In der zweiten Hälfte des Jahres 2002 sei sie dann in der im Norden an der Grenze zu Afghanistan liegenden Stadt Peshawar wieder mit ihrem Mann zusammengetroffen. Also zu einem Zeitpunkt, als die Amerikaner in dieser Region bereits mit hohem Aufwand nach Bin Laden suchten.

Bin Laden sei deshalb mit seiner Familie in die Berge im Nordwesten Pakistans geflohen. Allerdings offenbar nicht in den Teil, auf den sich die westlichen Geheimdienste konzentrierten. 2003 zog die Familie dann weiter nach Haripur, eine Kleinstadt in der Nähe von Islamabad. Dort lebte sie zwei Jahre lang in einem angemieteten Haus. Fateh brachte in dieser Zeit zwei Kinder in einem städtischen Krankenhaus zur Welt, zeigte offenbar gefälschte Ausweispapiere vor.

Nach Abbottabad im Nordosten Pakistans gelangte die Familie laut Fateh im Jahr 2005. Dort kamen zwei weitere Kinder auf die Welt. Fateh erklärte, zwei mit Bin Ladens Familie befreundete Männer hätten die Unterkünfte organisiert. Einer der beiden war auch den US-Geheimdiensten bekannt. Er war der Kurier, der Botschaften Bin Ladens transportierte und dem die Amerikaner schließlich bis zu dem Haus folgten. Bei der Erstürmung im Mai 2011 wurde auch der Kurier erschossen. Bin Ladens Frau Bushra, sein Bruder und einer seiner Söhne kamen ebenfalls ums Leben. Fateh war bei der Erstürmung zusammen mit Bin Laden in einem Raum und wurde angeschossen.

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