Details zur US-Operation in Pakistan:23 Kinder, neun Frauen - und Osama bin Laden

Wohl jahrelang lebte Osama bin Laden in einer Residenz des pakistanischen Kurortes Abbottabad: Laut Angaben von US-Vertretern ist er in Begleitung von mehreren Frauen und Kindern gewesen, als die Spezialkräfte das Kommando durchführten. Die Frage ist nun: Genoss der Al-Qaida-Chef Unterstützung von der Regierung in Islamabad - oder lediglich von der pakistanischen Gesellschaft?

Al-Qaida-Chef Osama bin Laden war bei dem in Pakistan ausgeführten Kommandoeinsatz laut Angaben eines US-Vertreters in Begleitung von 23 Kindern und neun Frauen. Sie hätten sich in jener Residenz aufgehalten, die Bin Laden sechs Jahre als Versteck gedient habe, berichtet die Nachrichtenagentur dapd und beruft sich dabei auf einen mit der Operation vertrauten Beamten. Demzufolge seien die Frauen sowie die Kinder den pakistanischen Behörden übergeben worden. Der Guardian berichtet, dass eine von Bin Ladens Töchtern die Erschießung ihres Vaters beobachtet haben soll. Das Blatt beruft sich dabei auf Angaben des pakistanischen Geheimdiensts ISI.

In der Nacht zum Sonntag flog ein etwa 25-köpfiges Spezialkommando der Navy Seals mit Hubschraubern in Abbottabad ein. Laut US-Angaben überrumpelte es die Wachen und stellte Bin Laden. Er sei von einer seiner Ehefrauen namentlich identifiziert worden. Als der Terrorführer Widerstand geleistet habe, sei er mit einem gezielten Kopfschuss getötet worden. Zudem seien einer seiner Söhne, zwei seiner Kuriere sowie eine Frau ums Leben gekommen. Die Frau sei nicht - wie zunächst von einem Vertreter der US-Regierung angegeben - als menschlicher Schutzschild missbraucht worden. Bin Laden sei bei dem Einsatz mit einer Frau zusammen gewesen, die verletzt wurde, erklärte John Brennan, Anti-Terror-Berater von US-Präsident Barack Obama. Die andere Frau sei bei einem Schusswechsel in einem anderen Teil des Hauses getötet worden.

Obama habe die 40-minütige Operation per Satellit live im Weißen Haus verfolgt. Brennan erklärte weiter, Ziel der Mission sei nicht die Tötung Bin Ladens gewesen. Er wäre gefangen genommen worden, wenn er sich nicht gewehrt hätte. Nach Informationen des US-Nachrichtensenders CNN handelte es sich hingegen um eine Kill Mission - eine gezielte Liquidation. Eine Festnahme sei nicht das Ziel gewesen, berichtete der Sender unter Berufung auf offizielle Quellen.

Brennan kündigte eine Untersuchung dazu an, wie Bin Laden so lange in Abbottabad leben konnte. Es sei "unvorstellbar", dass er keine Unterstützer in Pakistan gehabt habe. Pakistans Botschafter in den USA, Husain Haqqani, sicherte eine "vollständige Untersuchung" der Frage zu, warum dem Geheimdienst der Aufenthalt Bin Ladens in seinem Land entgangen sei. "Offensichtlich hatte Bin Laden ein Unterstützungssystem", sagte er im Sender CNN. "Die Frage ist, war es Unterstützung innerhalb der Regierung und dem Staat Pakistan oder innerhalb der pakistanischen Gesellschaft."

"Pakistan hat seinen Teil getan"

Pakistans Präsident Asif Ali Zardari wies Anschuldigungen zurück, sein Land habe nicht genug getan, um Bin Laden zu ergreifen. Auch wenn der US-Einsatz gegen den Al-Qaida-Chef "keine gemeinsame Aktion" gewesen sei, habe ein Jahrzehnt Zusammenarbeit zwischen Pakistan und den USA "zu der Ausschaltung von Osama bin Laden als dauerhafte Bedrohung für die zivilisierte Welt geführt", schrieb er in einem Gastbeitrag in der Washington Post. Unter der Überschrift "Pakistan hat seinen Teil getan" fügte er hinzu, Pakistan sei zufrieden, dass die Identifizierung des Kuriers durch pakistanische Dienste letztlich zu Bin Laden geführt habe.

Auf die Spur des Terrorchefs hat die US-Streitkräfte ein Kurier Bin Ladens gebracht: Dem Mann namens Scheich Abu Ahmed habe Bin Laden am meisten vertraut, hieß es weiter. Für die US-Geheimdienste sei der Mann aus Kuwait eine undurchsichtige Figur gewesen. Es habe Jahre gedauert, ihn zu identifizieren, sagten die US-Vertreter. Lange Zeit hätten die Geheimdienste den Mann nur unter seinem Kampfnamen Abu Ahmed al Kuwaiti gekannt. Erste Hinweise auf seine Bedeutung hatten bereits CIA-Gefangene nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 gegeben. Bei den beiden Kurieren, die bei dem US-Kommandoeinsatz getötet wurden, handelt es sich um Ahmed und dessen Bruder.

Doch in Washington herrschte offenbar Misstrauen gegenüber Pakistan. Die USA hatten die pakistanische Regierung erst dann über die Kommandoaktion in der Stadt Abbottabad informiert, als die Hubschrauber mit den US-Elitesoldaten den Luftraum des Landes wieder verlassen hatten. Dabei habe Washington ein Feuergefecht mit dem pakistanischen Militär in Kauf genommen, sagte Brennan.

Details zur Seebestattung

Unterdessen hat die US-Marine Details zur umstrittenen Seebestattung des Terrorfürsten veröffentlicht: Demnach wurde dieser an Bord des Flugzeugträgers USS Carl Vinson gebracht und später im Norden des Arabischen Meeres bestattet. Zuvor sei die Leiche in einen "beschwerten Sack" getan worden, ein Offizier habe einige religiöse Ausführungen gemacht, bevor der Körper auf ein flaches Brett gelegt und dann ins Wasser gekippt worden sei, berichteten Vertreter des US-Verteidigungsministeriums.

Für die US-Marine habe es sich dabei um Routine gehandelt, schließlich würde sie durchschnittlich 20 Seebestattungen monatlich durchführen. Dabei handele es sich für gewöhnlich um verstorbene Veteranen, Ruheständler und andere US-Bürger, sagte ein Sprecher der Marine.

US-Präsident Obama kündigte an, dass er am Donnerstag Ground Zero in New York besuchen wolle. Dort, wo am 11. September 2001 Terroristen zwei Flugzeuge in die Zwillingstürme des World Trade Center steuerten, will sich der Präsident mit Angehörigen der Opfer treffen, berichten US-Medien unter Berufung auf einen Sprecher des Weißen Hauses.

UN begrüßen Tötung Bin Ladens

Bin Laden gilt als Hauptdrahtzieher der Anschläge, bei denen allein in New York etwa 2600 Menschen ums Leben gekommen waren. Bei der Bekanntgabe des Todes Bin Ladens in der Nacht zum Montag hatte Obama die Hoffnung geäußert, dass die Familien der Opfer nun zumindest etwas Frieden finden könnten.

Ausdrücklich begrüßt wurde der Tod des Terrorchefs vom UN-Sicherheitsrat. Die 15 Mitglieder des höchsten Gremiums der Vereinten Nationen verabschiedeten am Montagabend in Anwesenheit von UN-Generalsekretär Ban Ki Moon eine präsidentielle Erklärung, in der die Mitglieder ihre Entschlossenheit bekräftigten, terroristische Organisationen und deren Akteure mit voller Strenge zur Rechenschaft zu ziehen. Eine solche Erklärung des Sicherheitsrates zum Tod eines Menschen ist äußert selten.

Ban hatte vor dem Treffen des Sicherheitsrates den Tod Bin Ladens als "Wendepunkt" im gemeinsamen Kampf gegen den internationalen Terrorismus bezeichnet. Völkerrechtler hingegen hatten bereits massive Kritik am Vorgehen der US-Regierung geäußert.

Furcht vor Vergeltungsaktionen

Die Vereinigten Staaten befürchten Vergeltungsaktionen. Ihre diplomatischen Vertretungen wurden in höchste Alarmbereitschaft versetzt. Die US-Regierung appellierte an ihre Bürger in besonders brisanten Regionen, Massenansammlungen zu meiden. Die Kontrollen an den New Yorker Flughäfen wurden erheblich verstärkt, an Bahnhöfen und größeren U-Bahn-Stationen zeigten Polizisten mit Sturmgewehr, Helm und Schutzweste Präsenz.

Nach Einschätzung von Bundeskanzlerin Angela Merkel, die am Montag mit Obama telefonierte, hat sich die Sicherheitslage in Deutschland nicht verändert. Anders schätzt die Lage der Vorsitzende des Innenausschusses des Bundestages, Wolfgang Bosbach (CDU), und der SPD-Innenexperte Dieter Wiefelspütz ein: Sie warnten vor Racheakten islamistischer Terroristen. Auch die beiden Polizeigewerkschaften in Deutschland sowie der Chef des Bundeskriminalamtes (BKA), Jörg Ziercke, mahnten zu erhöhter Wachsamkeit.

Der Vorsitzende der Gewerkschaft der Polizei (GdP), Bernhard Witthaut, rechnet damit, "dass wir als Polizei wieder mehr Präsenz zeigen werden. Auch wird es die eine oder andere Einschränkung geben an Flughäfen oder Bahnhöfen."

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