Österreich:Rennen auf die Hofburg

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Im Dezember gab die ehemalige Präsidentin des Obersten Gerichtshofs, Irmgard Griss, bekannt, dass sie sich als unabhängige Kandidatin bei den Präsidentschaftswahlen aufstellen lässt. (Foto: Leonhard Foeger/Reuters)

Im April wählt Österreich ein neues Staatsoberhaupt. Gespannt ist das Land darauf, ob neben einer unabhängigen Richterin auch Landeshauptmann Erwin Pröll antritt. Seine Partei feiert ihn schon als "Fels in der Brandung".

Von Cathrin Kahlweit, Wien

Bundespräsidenten halten Weihnachts- oder aber Neujahrsansprachen, das ist in vielen Ländern so üblich. Joachim Gauck hat das in Berlin am Heiligen Abend getan, in Österreich hat Heinz Fischer in der Hofburg zur Jahreswende eindringlich über Menschenrechte und Menschlichkeit gesprochen. Dass jemand eine quasi präsidiale Ansprache hält, der gar nicht Bundespräsident oder - in diesem Fall - Bundespräsidentin ist, das ist ungewöhnlich. Man könnte auch finden: anmaßend.

Österreichs Presse fand es "erfrischend", dass sich Irmgard Griss, die als unabhängige Kandidatin bei der kommenden Bundespräsidentenwahl antritt, auf Youtube bereits an die "lieben Mitbürgerinnen und Mitbürger" richtete. Fischer fing mit Griechenland und der Ukraine an, Griss, die mit ihrem Auftritt offenbar den Wahlkampf einleitete, mit Frankenkrediten und dem Klimawandel. Ihre Botschaft war kürzer, und die Flüchtlingskrise streifte die ehemalige Präsidentin des Obersten Gerichtshofs nur knapp.

Wer Böses dabei denkt, könnte vermuten, dass sie es sich durch zu viel "Wir schaffen das auch" mit potenziellen FPÖ-Wählern nicht verderben wollte, deren Stimmen sie bei der Persönlichkeitswahl im April eventuell brauchen würde; aber das ist Spekulation. Vielleicht wollte sich die 69-Jährige, die bisher nur von den Neos "punktuell" unterstützt wird, auch einfach vom amtierenden und sehr beliebten Bundespräsidenten absetzen, dessen Amtszeit demnächst ausläuft.

Die Wahl gilt als wichtiger Indikator für künftige Machtverschiebungen

Aber es wird ohnehin viel spekuliert dieser Tage in Wien, denn die Wahl gilt, da erst 2018 der nächste Urnengang in der Republik ansteht, auch als wichtiger Indikator für aktuelle Machtkonstellationen und künftige Machtverschiebungen. Fischer amtiert seit 2004 und kann nicht wiedergewählt werden. Und auch wenn der Bundespräsident in Österreich, ebenso wie in Deutschland, keine aktive politische Rolle spielt, so bewies doch allein der langwährende Streit über die Wahl des Ex-UN-Generalsekretärs und einstigen Wehrmachtsoffiziers Kurt Waldheim zum Staatsoberhaupt, wie eminent politisch eine solche Entscheidung sein kann.

Derzeit gilt vor allem als interessant, ob etwaige parteiübergreifende Kandidaten auf künftige neue Koalitionen im Land hinweisen und Rot-Schwarz im Bund beenden könnten. Und so war die Frage, ob die Juristin Griss, die sich 2015 mit einem vom Finanzministerium in Auftrag gegebenen Untersuchungsbericht zum Skandal rund um die verstaatlichte Hypo-Alpe-Adria-Bank einen Namen gemacht hatte, antreten - und wer sie unterstützen würde, nur eines von vielen Details, das derzeit Politik und Medien in Österreich über die Maßen beschäftigt.

Als viel spannender gilt, ob der mächtige, manche finden über- oder gar allmächtige Erwin Pröll (ÖVP), Landeshauptmann von Niederösterreich, sich die Ehre gibt, für das Amt zu kandidieren. Schon jetzt gilt als offenes Geheimnis, was erst am Sonntag von der Parteispitze beschlossen werden soll: Er macht's. Zuletzt wallfahrte die halbe Partei nach St. Pölten oder äußerte sich zumindest hoffnungsfroh, denn Österreich brauche einen "Fels in der Brandung", und Pröll sei "ein solcher Staatsmann". Die Partei liege ihm "zu Füßen", hieß es auch, und der so Gebetene und Gelobte selbst befand erst kürzlich in einer Telefonsprechstunde der Zeitung Kur ier auf die besorgte Frage einer Anruferin, wer denn für den Fall seines Sieges in seine Fußstapfen treten solle, wo doch Niederösterreich Prölls ganze Kraft brauche, dieser Wahlkampf sei "zu gewinnen".

Prölls jetziger Einfluss auf die Politik ist kaum zu überschätzen. Warum sollte er sich entmachten?

Das befürchtet auch die Konkurrenz. Pröll ist seit 1992 Ministerpräsident, er hat Minister und Kanzler in Wien kommen und gehen sehen und im Zweifel selbst inthronisiert, sein Einfluss auf die Bundespolitik ist kaum zu überschätzen. Wollte man sich Spekulationen hingeben, könnte man auf den Gedanken kommen, manch einer in der ÖVP wäre froh, wenn der Oberguru und Strippenzieher in der Hofburg auf einem letztlich repräsentativen Posten säße, und so regt sich auch nach wie vor Zweifel in Wien: Warum sollte sich Pröll seine Selbstentmachtung antun? Tut er es denn wirklich, steht eine designierte Nachfolgerin, Innenministerin Johanna Mikl-Leitner, bereit, womit ein wenig Bewegung in das Personaltableau auf Bundesebene käme, was wiederum Raum für Spekulationen - und stille Hoffnungen gibt.

In der SPÖ wird Gewerkschafter und Sozialminister Rudolf Hundstorfer heiß gehandelt, aber selbst die Sozialdemokraten schreiben ihm keine großen Siegeschancen im direkten Rennen gegen Pröll zu. Daher gibt es viele und lauter werdende Stimmen, die einen gemeinsamen Kandidaten mit den Grünen für eine gute Idee halten, wofür sich deren Patriarch, der intellektuelle Kettenraucher Alexander van der Bellen anbietet. Der soll, wiewohl bereits 71 Jahre alt, zum Jahreswechsel noch schnell geheiratet haben. Das heizt, unschwer zu erraten, wiederum die Spekulationen darüber an, dass er sein Privatleben noch ordnen wollte, bevor er antritt - was allerdings für die grün-alternativen Klientel so wohl nicht nötig gewesen wäre.

Die FPÖ, die sich zeitweilig vorstellen konnte, die unabhängige Kandidatin Griss zu unterstützen, sondiert immer noch, und so bleibt als wirklich lustige Nachricht für 2016 zu vermelden, dass sich der als Opernball-Wiedergänger berühmte Unternehmer Richard "Moertel" Lugner überlegen soll, ob er noch einmal antritt. Immerhin schaffte er es 1998 schon mal auf den vierten Platz. Aber diese Spekulation, die vor allem den Medien einigen Spaß bescheren würde, dürfte nun wirklich eine Ente sein. Offiziell wird das Rennen um die Hofburg übrigens Mitte Januar eröffnet.

© SZ vom 08.01.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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