Obama wird US-Präsident:Amerikas Befreiung

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Ein Krieg der Lügen, Jahre der ideologischen Verblendung - und jetzt Obama: Amerika verspricht einen Neuanfang. Er selbst muss sich nun für eine Linie entscheiden.

Stefan Kornelius

Acht Jahre nach Beginn der gerichtlich verfügten Präsidentschaft George W. Bushs, sieben Jahre nach dem größten nationalen Trauma mit 3000 Toten, fünf Jahre nach dem Krieg der Lügen, nach Jahren der ideologischen Verblendung und patriotischen Überhitzung, und schließlich im Augenblick größter ökonomischer Gefahr haben die Amerikaner eine historische Entscheidung getroffen. Sie wählten den ersten Schwarzen zum Präsidenten des Landes, und sie gaben ihrem Wunsch nach einem radikalen Kurswechsel in der Politik Ausdruck.

Junge Obama-Fans in Indonesien - die Begeisterung geht weit über die USA hinaus (Foto: Foto: Reuters)

Amerika will einen Neuanfang. Mit zwei Kriegen und einer Finanzkrise belastet, sehnt sich das Land nach einer Befreiung. An der Urne hat Amerika seine Handlungsfreiheit zurückgewonnen. Mit ihrer Stimme stemmte sich die Mehrheit der Wähler gegen den Niedergang, den Bedeutungsverlust und gegen das politische Missmanagement, das den Abstieg nur noch beschleunigte.

Barack Obama hat es am besten verstanden, der Sehnsucht des Landes Ausdruck zu verleihen. Dies war allemal die Wahlsaison der Demokraten, aber der Ausnahmepolitiker Obama gab ihr das Leitmotiv. Er versprach den Wandel, in Wahrheit aber vermittelte er Hoffnung. Obamas größte Leistung bestand darin, sich selbst nicht als Retter in der Not zu stilisieren. Vielmehr löste er eine Massenbewegung aus, er schürte Begeisterung, und er gab den Wählern den Glauben an ihre eigene Tatkraft zurück - yes, we can, nicht yes, I can. Die Re-Politisierung Amerikas - das ist Obamas Verdienst.

Obama muss sich entscheiden

Zweifel an seiner Fähigkeit wurden mit jedem Tag dieses auszehrenden Wahlkampfes kleiner. Wer eine Mobilisierungs-Kampagne dieser Schlagkraft organisiert, wer Charisma und Zuversicht verströmt, wer selbst unter größtem Druck Gelassenheit zeigt und Distanz wahrt, der wird auch ein guter Präsident sein.

Allerdings: Obama muss sich entscheiden. Noch bedient er sie alle, die Bürgerbewegten und die Realisten, die Graswurzel-Linken und die Fiskalisten, die Interventionisten und die Isolationisten. Alle vereinen sich hinter Obama im Wunsch nach dem Wechsel, weg von George W. Bush. Jetzt muss er sich für eine Linie entscheiden. Da er nur wenige Spuren im politischen Tagesgeschäft hinterlassen hat, wird jetzt die Suche nach dem harten Kern des neuen Präsidenten beginnen.

Wie also wird er sich entscheiden? Schneller oder bedächtiger Abzug aus dem Irak? Direkte Gespräche mit Iran oder taktische Stellungsspiele? Intervention im pakistanischen Grenzgebiet oder Schluss mit der Präventiv-Doktrin? Im Inneren: Steuern hoch oder lieber doch nicht, aus Furcht vor dem Wählerzorn? Gesundheitssystem für alle oder schlanke Regierung? Kompromiss mit dem anderen Lager oder ideologische Spaltung? Der Außenpolitiker Richard Haas mahnt: Wahlkampf wird in Schwarz und Weiß geführt, aber man regiert in Grau. Grau muss Obama noch lernen.

Ein beträchtlicher Teil der Sympathien ist Obama entgegengeflogen, weil sein Vorgänger abgewirtschaftet hatte. Amerika, einst an Selbstbewusstsein kaum zu überbieten, hatte einen Knacks erlitten. Bush, der sich so gerne stark gab, hatte das Land geschwächt. Obama traf in diesem Moment den perfekten Ton: Der Underdog wird triumphieren, der Gefallene steht wieder auf.

Plötzlich also fühlt sich Amerika wieder jung, plötzlich tun sich neue Möglichkeiten auf. Das ist der sagenhafte Trick, den das Wahlsystem und die Beschränkung der Amtszeit für das politische Spitzenpersonal bereithält. Anfang ist immer, und so viel Anfang wie diesmal war selten. Allein: Wenn sich der Überschwang gelegt hat, steht der Kongress immer noch auf dem Kapitolshügel. Eine Wahlnacht verschiebt nicht die politische Ausrichtung, die sich in acht Jahren Bush gebildet hat.

Gewaltige Spannung entladen

Gerade in Europa, das Obama eine schwärmerische Euphorie entgegengebringt, ignoriert man leicht, dass der amerikanische Mainstream schon lange in anderen Bahnen fließt. Selbst wenn die religiösen Gruppen nun an Einfluss verlieren und das Freund-Feind-Schema verschwimmt - Amerika ist ein im Kern konservatives Land, in dem Stärke und Überlegenheit geschätzt werden. Auch wenn Obama mit offenen Armen auf die Welt zugeht, wird das seinen Erfolg zu Hause nicht garantieren. Auch Jimmy Carter wählte den sanften Pfad im Schatten von Vietnam und Richard Nixon. Ein großer Präsident ist er deswegen nicht geworden.

Viel ist in diesem Augenblick von "Erlösung" die Rede, und die tränenüberströmten Gesichter aus der Wahlnacht zeugen davon, dass sich tatsächlich eine gewaltige Spannung entladen hat. Der erste schwarze Präsident - was für ein Symbol für eine Gesellschaft, die für sich eine Weltführerschaft bei Dynamik und Offenheit reklamiert. Was für ein Zeichen für die Minderheiten und Hoffnungsfrohen, die - zusammengenommen - bald eine Mehrheit bilden werden in den USA. Erlösung also, weil diese Symbole möglich sind. Erlösung auch vom Druck der Bush-Jahre. Aber am Ende ist Obama kein Erlöser, seine Stilisierung zum Heilsbringer hilft nicht weiter. Barack Obama ist lediglich der Präsident, der sein Amt nun ausfüllen muss.

© SZ vom 06.11.2008/ihe - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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