Obama und die US-Gesellschaft:Code des Kulturkampfes

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Barack Obama schlägt die Republikaner mit ihren eigenen Waffen und vereint damit das Land. Der religiöse Glaube allerdings ist ein rhetorisches Minenfeld. Denn mit Gott verhandelt man nicht.

Andrian Kreye

Genau dreißig Sekunden emphatischer Rhetorik brauchte Barack Obama während seiner Siegesrede in Chicago, um den Kulturkampf zu beenden, der die amerikanische Nation schon so viele Jahre in Geiselhaft genommen hat.

Der große Vereiner: Obama als Collage aus tausenden Fans. (Foto: Foto: flickr)

Nun muss sich wohl erst zeigen, ob Obama lediglich einen Waffenstillstand erklärt oder wirklich für Ruhe gesorgt hat. Tatsache ist, dass er gleich im dritten Absatz all jene Gruppen und Minderheiten beim Namen nannte, die das ausmachen, was der schwarze New Yorker Bürgermeister David Dinkins einst als "wundervolles Mosaik" bezeichnete, womit er die amerikanische Gesellschaft meinte.

Sie verband er mit einem leidenschaftlichen "Wir" und verabschiedete sich so von genau jenem gesellschaftlichen Credo, das die Vielfalt feierte und die Gemeinschaftlichkeit ablehnte.

Im amerikanischen Management hat man das Konfliktpotential der allzu facettenreichen Gesellschaft längst erkannt. Eines der schlichten Motivationssprüchlein dort lautet seit einiger Zeit: "It's not about diversity, it's all about inclusion".

Keine Chance für Argumente

Denn es war ja genau diese Betonung des Andersartigen, das die Grundlagen für jenen Kulturkampf schuf, der die amerikanische Gesellschaft so extrem polarisieren und letztlich spalten konnte.

Es war eine ganz bewusste Taktik, die mit den tiefsten Emotionen der Menschen spielte, mit ihren Überzeugungen und religiösen Gefühlen. Wer die im Rahmen einer Kampagne emotionalisiert, der hat so gut wie gewonnen und kann seine Regierungszeit ungestört nutzen, um seine Interessen durchzusetzen.

Der Kulturkritiker Thomas Frank brachte das während der Präsidentschaftswahlen 2004 auf den Punkt: "Man gibt seine Stimme gegen Abtreibungen ab und bekommt dafür eine Senkung der Kapitalertragssteuern. Man wählt für eine starke Nation und bekommt dafür eine Welle der Deindustrialisierung. Man gibt seine Stimme ab, um es diesen politisch korrekten Collegeprofessoren mal so richtig zu zeigen und bekommt dafür die Deregulierung der Elektrizitätswirtschaft.

Man will gegen den Terrorismus stimmen und bekommt dafür die Privatisierung der Sozialversicherung. Man gibt seine Stimme gegen Elitedenken ab und bekommt dafür eine Gesellschaft, in der Reichtum konzentrierter ist, als jemals zuvor in unserer Zeit."

George W. Bushs Chefstratege Karl Rove war ein Meister dieser Strategien. Er wusste genau, welche wunden Punkte die jüngere Geschichte auf den empfindlichen Seelen konservativer und vor allem frommer Amerikaner hinterlassen hatte. Rove konnte das gesamte Repertoire der bürgerlichen Ressentiments gegen die progressiven Errungenschaften bedienen.

Da ging es vor allem um die verschärfte Trennung von Kirche und Staat, um die endgültige Gleichberechtigung der Minderheiten oder die Legalisierung der Abtreibung im Urteil des Falles Roe versus Wade, um all jene gesellschaftlichen Errungenschaften also, die das amerikanische Verfassungsgericht zwischen 1963 und 1973 im Rechtssystem zementierte.

Diese kurze Zeit der progressiven Umwälzungen werden vom konservativen Amerika heute noch als mindestens so destruktiv und fatal empfunden, wie die acht Jahre der Bush-Regierung vom liberalen Amerika und einem guten Teil des Rests der Welt.

Dabei wurde dieser Kulturkampf nur selten offen ausgetragen. Rove und die Redenschreiber Bushs verstanden sich meisterlich auf die Kodierung ihrer Botschaften. Jede Bush-Rede war eine Abfolge von vermeintlich banalen Sätzen, die mit religiösem Subtext aufgeladen waren.

Umfrage zur US-Wahl
:"Nicht nur Träume"

Nach der US-Wahl hoffen viele auf den Wandel, den Barack Obama versprochen hat. Manche fürchten ihn auch. Eine Umfrage von Sophie und Marcel Burkhardt, Miami-Beach.

So konnte eine der berechnendsten Regierungen aller Zeiten den Eindruck vermitteln, sie seien Rebellen, die dort im Zentrum der Macht einen Kampf für all jene ausfochten, die im Mainstream der Gesellschaft keine Stimme, kein Gehör fanden. Für die Christen, die redlichen Bürger, die Patrioten, die ungeborenen Kinder, kurz für jenes gesellschaftliche Konstrukt, das Richard Nixon 1968 als "schweigende Mehrheit" bezeichnete.

Hin und wieder nahm die Polarisierung fast absurde Formen an. Als sich beispielsweise im Sommer 2005 der Familienstreit um die Wachkomapatientin Terry Schiavo in Pennsylvania zuspitzte, als eine Gerichtsentscheidung anstand, die dem Ehemann gegen den Willen ihrer Eltern erlaubte, die lebenserhaltenden Maßnahmen abzubrechen, unterbrach George W. Bush extra seinen Urlaub in Texas, um eine Sondersitzung des Parlaments einzuberufen. Es ging Bush keineswegs um die Patientin.

Es ging ihm nicht einmal um die Entscheidung zwischen Leben und Tod. Es ging ihm darum, Justiz und Liberale an die Wand zu drängen, sie mit einem Fall zu konfrontieren, der so emotional aufgeladen und umstritten war, dass eine kühle Argumentation per se herzlos erscheinen musste.

Wie zynisch solch frömmelnder Aktivismus war, deckte schließlich der ehemalige stellvertretende Leiter des "Office for Faith Based Initiatives" auf, des Amtes, das unter Bush die Privatisierung staatlicher Aufgaben wie Bildung und soziale Versorgung zu Gunsten christlicher Kirchen vorantrieb.

Nützliche Durchgeknallte

Karl Rove habe buchstäblich mit den Augen gerollt, wenn es um christliche Wähler und Aktivisten ging, schrieb er. Die von der Regierung so umworbenen Politpfarrer wie Jerry Fallwell und Pat Robertson hätten im Weißen Haus als "Durchgeknallte" gegolten.

Nützliche Durchgeknallte eben. Die Gräben, die solche Kulturkämpfe durch die amerikanische Gesellschaft gezogen haben sind tief. Das gegenseitige Misstrauen zwischen den so genannten blauen und roten Staaten, das Obama in seiner Rede anspricht, wird sich nicht mit Worten entkräften lassen.

Doch Obama braucht die Vereinigung der amerikanischen Gesellschaft unter seiner Regierung nicht nur als Floskel. Die Herausforderungen seiner Amtszeit werden gewaltig sein. Kulturkämpfe könnten seinen Gegnern helfen, seine Arbeit zu behindern. Doch eines beherrscht Obama selbst meisterhaft - die Codes der Emotionalisierung durch Geschichte und den Subtext eines weltlichen Patriotismus.

Gerade deswegen hat er die Religion außen vor gelassen in seiner Siegesrede. Jedes andere der heiklen Themen lässt sich verhandeln. Gerade die ethnischen Spannungen könnte Obama entschärfen, weil er als Vertreter einer post-ethnischen Welt gilt, in der sich die Gleichheit quasi demographisch vollzieht. Wenn in Staaten wie Kalifornien die weiße Bevölkerung zur Minderheit unter Minderheiten wird, verwischen sich die Grenzen des ethnischen Selbstverständnisses.

Selbst die letzte Bastion der Bürgerrechtskämpfe, die Homosexualität, kann Obama vernachlässigen. Längst hat das Thema die bürgerliche Mitte erreicht. Der religiöse Glaube allerdings ist ein rhetorisches Minenfeld. Denn mit Gott verhandelt man nicht.

Das allerdings musste sogar George W. Bush in seinen letzten beiden Amtsjahren erfahren. Da wandte sich die christliche Basis in großen Teilen von ihm ab. Die Erde sei ein Geschenk Gottes sagten die Evangelisten. Wer sie so schmählich behandelte, der sei des höchsten Amtes nicht würdig.

Doch nun hat sich ein ganz neuer Zorn in den nationalen Dialog geschlichen. Nun geht es nicht mehr um Werte oder Glauben. Es geht um Geld. Und so weicht der Kultur- dem Klassenkampf.

© SZ vom 06.11.2008/jkr/odg - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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