Obama: Rede in Kairo:Amerikas Neubeginn

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So kraftvoll und einfühlsam wie Barack Obama hat bisher noch kein Staatsmann Worte gefunden, um die Muslime dieser Welt zu gewinnen. Und doch ist der US-Präsident kein Pendler zwischen den Welten - er repräsentiert allein die Interessen seiner Nation.

Christian Wernicke

Reden kann er. Das hat Barack Obama, wieder einmal, allen bewiesen. So selbstbewusst und kraftvoll, und zugleich so einfühlsam und tastend hat noch kein Staatsmann des Westens bisher Worte gefunden, um die Muslime dieser Welt für einen Neuanfang mit Amerika - und dem Westen insgesamt - zu gewinnen. Sein Publikum, ob in Kairos Universitätsaula oder vor den Fernsehschirmen weltweit, spürte: Da redet nicht einer nur über abstrakte Dinge, da spricht jemand aus sich und von sich selbst.

Tour de Force durch die Befindlichkeiten der islamischen Welt: Barack Obama bei seiner Rede in Kairo. (Foto: Foto: AFP)

Und jede Zeile stammte aus Obamas eigener Feder. Jede Silbe, jeder Zwischenton dieses politischen Oratoriums war persönlich. Sehr kalkuliert hat der US-Präsident in Kairo mit seiner Herkunft (als Sohn eines Muslims aus Kenia) gewuchert, hat er seinen eigenen, daheim verschmähten Mittelnamen (Hussein) herbeigerufen und daran erinnert, wie er als junger Mensch einst in einem islamischen Land (Indonesien) aufwuchs.

Diese Biografie, die Erfahrung eines Lebens zwischen verschiedenen Kulturen und in voneinander getrennten Welten verleiht seinem Appell vom Nil die nötige Glaubwürdigkeit: Brücken zu bauen, die Mauern alter Vorurteile einzureißen und den Ausbruch zu wagen "aus den Zirkeln des Argwohns" - das hat dieser Barack Obama von Kindesbeinen an gelernt.

Nur, als Amerikas Präsident ist Obama längst kein Pendler zwischen den Welten mehr. Er repräsentiert, wenn auch mit hinreißendem Geschick, allein die Interessen seiner Nation. Nur das ist sein Job, nichts anderes hat Barack Obama in Kairo erledigt. Auch die wohl dosierte Selbstkritik dient ausschließlich diesem Zweck.

Stage-Setting

Die Klage über Washingtons Hybris beim Marsch auf Bagdad verziert Obama mit weisen Zitaten amerikanischer Gründerväter, die Schande und Schmach der Folter in Amerikas Kerkern von Abu Ghraib und Guantanamo denunziert er als Verrat an ur-nationalen Werten und Prinzipien. Eine Entschuldigung, wie es muslimische Gelehrte vorab verlangt hatten, leistet der Amerikaner nicht ab. Das will er nicht, dass kann er nicht - daheim zetert die konservative Rechte bereits, der Präsident krieche vor der Welt im Staube und ziehe seine Nation durch den Dreck.

Lesen Sie auf Seite zwei, welche Strategie Obama verfolgt

Diese Kritiker haben Obamas Strategie schlicht nicht verstanden. Indem der erste Präsident der Post-Bush-Ära nun Amerikas Fehler beim Namen nennt, reklamiert er zugleich das Recht, seinem Gegenüber den Spiegel vorzuhalten. Bibelfest in drei Religionen beruft sich Obama auf Tora, Koran und Neues Testament, um seine Wahrheiten auszusprechen: Etwa, dass Amerika in Afghanistan und Pakistan eben keinerlei Imperium anstrebt, sondern nur al-Qaidas Terror-Bastionen schleifen will. Die eiskalte Stille, mit der das Publikum in Kairo diese Passagen quittierte, zeigt, wie tief der Graben zwischen Okzident und Orient tatsächlich ist.

Stage-Setting nennen Politologen diese Phase jeden Neubeginns. Obama zimmert derzeit nur die Bühne, auf der er später einmal - in Form von Krisenkonferenzen oder globalen Gipfeln - seine Weltpolitik inszenieren will. Das genaue Drehbuch für sein geplantes Drama von Krieg und Frieden, ja von der Aussöhnung zwischen Orient und Okzident, kennt auch der Präsident selbst bisher wohl nur vage. Er kann und muss hoffen, dass all die anderen Akteure im Nahen Osten - Israelis wie Palästinenser, Ägypter, Iraner, Syrer und Saudis und viele mehr - mitspielen werden.

Die Klage jedenfalls, bei allem rhetorischen Zauber lasse Obama einen magischen Wegweiser zum Frieden im Nahen Osten vermissen, kommt zu früh. Den Glauben an Pläne und Roadmaps hat das Heilige Land, diese von Gewalt so verfluchte Region, ohnehin längst verloren. Wer meint, der US-Präsident habe zu salbungsvoll, zu unverbindlich gesprochen, der hat Obama nicht verstanden: dieser Präsident muss zunächst Amerikas Standing und Status in der Welt neu begründen - nach dem Desaster des Irak-Krieges, nach der Pleite des Wall-Street-Kapitalismus. Erst dann kann er wieder Amerikas Einfluss ausspielen.

Kommt jetzt Europa?

Zumindest skizzenhaft aber lässt sich erkennen, was Obamas Strategie ausmacht. Wo er jetzt sät, will er gegen Ende diesen Jahres ernten. Bis dahin sollen Arabiens Regime mit Offerten der Entspannung die Regierung in Jerusalem erweichen, auf den Bau neuer Sieldungen zu verzichten. Zugleich will er sondieren, ob das Regime in Teheran bereit ist zum Dialog mit dem verteufelten Erzfeind. Das könnte den Nachbarn die Angst vor der schiitischen Bombe nehmen - und die Region beruhigen. Denn ohne Druck aus Teheran werden Hamas und Hisbollah sich kaum auf einen Waffenstillstand mit Israel einlassen.

Erfolg braucht Obama auch an seiner dritten Front, am Hindukusch. Den Boden zu bereiten für mehr Beistand der Alliierten aus Europa, dazu dienen die restlichen Tage der Reise. Obama wird nichts fordern, schon gar nicht laut mehr Truppen verlangen. Er wird schlicht die Bilder sprechen lassen - am Stacheldraht von Buchenwald oder im Meer weißer Kreuze auf dem Soldatenfriedhof in der Normandie. Als damals die Alte Welt in Krieg und Terror versank, kam Amerika zur Hilfe. Die Frage, ohne große Rede, lautet: Kommt jetzt Europa?

© SZ vom 05.06.2009/woja - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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