NSU-Prozess:Richter will NSU-Prozess beschleunigen - und erntet Kritik

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Seit geraumer Zeit verhandelt Manfred Götzl nur noch halbtags. Das gab Prozessbeobachtern Anlass zu der Mutmaßung, nachmittags arbeite das Gericht bereits an seiner Urteilsbegründung. (Foto: Tobias Hase/dpa)
  • Das Gericht hat über Befangenheitsanträge von 2014 entschieden und Zeugen entgültig abgelehnt.
  • Bei den abgelehnten Zeugen geht es darum, die Verwicklung von V-Männern des Verfassungsschutzes in die Causa NSU zu klären.
  • Für die Staatsanwälte ist nach dreijähriger Beweisaufnahme klar: Die Behörden haben nichts von den Taten des NSU gewusst. Opferanwälte kritisieren dies.

Aus dem Gericht von Annette Ramelsberger, München

Seit mehr als drei Jahren läuft nun schon der Prozess gegen die rechtsradikale Terrorzelle NSU, doch allmählich mehren sich die Zeichen, dass Richter Manfred Götzl zu einem Ende kommen will. Wie bei einem Frühjahrsputz schaut das Gericht in allen Ecken des Verfahrens nach und räumt Liegengebliebenes auf. Mal entscheidet es über uralte Befangenheitsanträge gegen einen Mediziner, die schon 2014 gestellt wurden, dann wieder fragt es nach, ob man jetzt nicht doch endgültig auf Zeugen verzichten könnte, die man einst noch für wichtig gehalten hatte.

Allerdings hat das Gericht in seinem Drang, alles aufzuräumen, auch mehrere Anträge zur Verwicklung von V-Männern des Verfassungsschutzes in die Causa NSU abgelehnt, die den Opfervertretern wichtig sind. Darüber kam es am Dienstag zum offenen Streit.

Für die Staatsanwälte ist nach nunmehr dreijähriger Beweisaufnahme klar: Die Behörden haben nichts von den Taten des NSU gewusst - obwohl die Terrorzelle von staatlichen Spitzeln nur so umstellt war. Und Fehler von Polizei und Verfassungsschutz bei der Suche nach den Untergetauchten täten im Prozess nichts zur Sache und müssten vom Senat nicht aufgeklärt werden, sagte Oberstaatsanwältin Anette Greger.

V-Mann postete auf seiner Facebookseite "Heil, NSU!"

Sie trug die Haltung der Bundesanwaltschaft fast wie ein Glaubensbekenntnis vor: "Nach dem bisherigen Stand der Ermittlungen und der Beweisaufnahme gibt es keine tragfähigen Anhaltspunkte dafür, dass die Ermittlungsbehörden oder die Verfassungsschutzbehörden jemals Kenntnis von den Anschlägen gehabt hätten. Ein Fehlverhalten in Zusammenhang mit der Fahndung ist für den Prozess ohne jede Bedeutung."

Eine ganze Reihe von Opfervertretern hatte beantragt, den Ex-V-Mann Ralf Marschner als Zeugen zu laden, der möglicherweise die Angeklagte Beate Zschäpe und ihren Kameraden Uwe Mundlos beschäftigt hatte, als diese schon im Untergrund lebten. Das Gericht hatte das vor Kurzem abgelehnt. Dagegen hatten die Nebenkläger protestiert. Sie kritisierten, das Gericht habe die Vernehmung Marschners "um jeden Preis" ablehnen wollen. Für sie ist der V-Mann ein wichtiger Zeuge, der über das Binnenverhältnis der Terrorzelle Auskunft geben könnte.

Immerhin hatte Marschner kurz nach dem Auffliegen des NSU auf seiner Facebookseite "Heil, NSU!" gepostet. Für die Opfervertreter ein untrügliches Zeichen, dass er von der Existenz der Terrorgruppe wusste. Im Untersuchungsausschuss des Bundestages hatte Bundestags-Vizepräsidentin Petra Pau von der Linken die Facebook-Seite Marschners vergangene Woche vorgeführt - die Ermittler hatten davon angeblich nichts gewusst.

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Der V-Mann hatte sie noch kurz vor seinem Tod im Jahr 2014 benutzt. Der Chef des Geheimdienstes, Hans-Georg Maaßen, gerät damit erheblich unter Druck.

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Bundesanwaltschaft nennt Kritik der Nebenkläger am Gericht "despektierlich"

Die Bundesanwaltschaft holte am Dienstag zum großen Verteidigungsschlag aus - und nannte die Kritik der Nebenkläger am Gericht "despektierlich". Einzelne Nebenkläger hätten das Missverständnis gefördert, vor Gericht könnten alle Aspekte des Falls NSU aufgeklärt werden. Das gehe aber nicht. Das Gericht habe die Pflicht, den Prozess konzentriert und beschleunigt durchzuführen. Wer dem Gericht mangelnden Aufklärungswillen unterstelle, betreibe "aus fachlicher Sicht groben Unfug".

Dagegen wehrte sich Anwalt Sebastian Scharmer, der die Bundesanwaltschaft aufrief, doch endlich das vor sich hin dümpelnde Ermittlungsverfahren gegen die Verdächtigen im Umkreis des NSU voranzutreiben, die seit mehr als vier Jahren als Beschuldigte geführt werden.

Der Vorsitzende Richter Götzl hörte sich das alles an und entschied um 11.40 Uhr, für diesen Tag sei es gut - so, wie es nun schon seit Wochen immer nur Halbtags-Termine gibt. Auch der kommende Donnerstag wurde abgesetzt. Bei der Dauer der Verhandlungstage scheint der Beschleunigungsgrundsatz nicht zu gelten. Viele im Prozess haben den Eindruck, das Gericht brauche die Nachmittage, um schon das Urteil vorzubereiten. Es könnte dann doch noch in diesem Jahr fallen.

© SZ vom 08.06.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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