NSU-Prozess:Drei Supermarkt-Räuber, einer mit heller Stimme

Lesezeit: 2 min

  • Im NSU-Prozess sagt ein Zeuge aus, der mutmaßlich eines der ersten Opfer der rechten Terrorgruppe war.
  • Falco K. beobachtete 1998 einen Überfall auf einen Chemnitzer Supermarkt. Er will drei Täter gesehen haben und wäre fast von einer Kugel der Räuber getroffen worden.
  • Der 212. Prozesstag wird verkürzt, weil Beate Zschäpe Zahnschmerzen hat. Eine Entscheidung des Gerichts über ihre Pflichtverteidiger steht noch aus.

Aus dem Gericht von Tanjev Schultz

Die Verhandlung im NSU-Prozess ist an diesem Mittwoch früher beendet als erwartet. Mit der Krise zwischen Beate Zschäpe und ihren Anwälten hat das aber nichts zu tun. Beate Zschäpe hat Zahnschmerzen. Sie befinde sich in zahnärztlicher Behandlung, die noch nicht abgeschlossen sei, erklärt Richter Manfred Götzl. Ganz ausgefallen ist der Verhandlungstag jedoch nicht. Am Morgen ist Zschäpe wie üblich in den Gerichtssaal hereingeführt worden, und wieder hat sie ihre drei Verteidiger dabei demonstrativ ignoriert.

Sichtlich genervt und nun offenbar auch noch zahnwehgeplagt starrt Zschäpe in die Luft und verschränkt die Arme. Neben ihr tut Rechtsanwalt Wolfgang Heer das Gleiche. So wird es vermutlich auch morgen weitergehen, denn das Gericht nimmt sich Zeit, seine Entscheidung über die Zukunft des Verteidigerteams zu fällen. Vor Donnerstag wird es dazu keinen Beschluss geben, womöglich dauert es noch ein paar Tage länger.

Geldkassette mit 30 000 Mark

Richter Götzl nutzt den verkürzten 212. Prozesstag, um zumindest noch einen Zeugen zu hören. Und der hat Wichtiges zu erzählen: Falco K, 32. Jahre alt, Finanzberater, war mutmaßlich eines der ersten Opfer des NSU. Am 18. Dezember 1998 stand er mit Freunden vor dem Eingang eines Edeka-Marktes in Chemnitz.

Sie wollten eigentlich ins Kino gehen. Ihnen fielen zwei Personen auf, die sich vor dem Supermarkt aufhielten. Dann soll eine dritte Person aus dem Edeka gerannt sein, die einen länglichen Gegenstand unter dem Arm trug. Wie sich später herausstellte, handelte es sich offenbar um eine Geldkassette. Die Beute aus dem Laden, gefüllt mit 30 000 Mark.

Beate Zschäpe gegen ihre Verteidiger
:So dramatisch wie möglich

In einem vierseitigen Schreiben an das Gericht macht Beate Zschäpe ihren Anwälten schwere Vorwürfe. Sie fühle sich geradezu erpresst. Dabei denke sie durchaus darüber nach, auszusagen. Alles Taktik?

Von Tanjev Schultz

Die drei Personen seien geflüchtet, und der damals erst 16 Jahre alte Zeuge lief ihnen nach. Einer der Räuber habe gerufen: "Bleib stehen!" Anschließend fielen drei Schüsse. "Einer ist am Kopf vorbei, das hört man, es machte Pffffttt", sagt Falco K. Er ging hinter parkenden Autos in Deckung. Ein anderer Schuss schlug in eine Hauswand ein, das Loch war noch Jahre später zu sehen.

Zeuge spricht von drei Räubern - nicht von zwei

Die Polizei stellte 1998 Hülsen sicher, fand aber die Täter nicht. Als dann 2011 der NSU aufflog, entdeckten die Ermittler im Brandschutt des Hauses in Zwickau, in dem die Neonazis gelebt hatten, zwei Hülsen, die aus derselben Waffe gezündet worden sein sollen. Seitdem gilt der Edeka-Überfall als die erste Tat in der Raub- und Mordserie des NSU.

Zeugen im Supermarkt sprachen bisher nur von zwei Räubern, Falco K. dagegen will drei Personen flüchten gesehen haben. Bei den anderen Taten, die dem NSU zugeschrieben werden, waren am Tatort jeweils nur zwei Männer gesehen worden; die Bundesanwaltschaft geht davon aus, dass es Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos waren. Beate Zschäpe ist als Mittäterin angeklagt, auch wenn es keine Hinweise dafür gibt, dass sie selbst an den Tatorten anwesend war.

Hohe und helle Stimme

Die Stimme des Schützen sei hoch und hell gewesen, er wisse nicht, ob es ein Mann oder eine Frau war, sagt nun der Zeuge Falco K. vor Gericht. Bei der Polizei hatte er noch von einer Männerstimme gesprochen. Und Uwe Mundlos soll eine auffällig helle Stimme gehabt haben.

Zschäpe im NSU-Prozess
:Eine Mohrrübe für das Gericht

Beate Zschäpes Feldzug gegen ihre eigenen Anwälte ist pure Taktik. Sie gibt vor, reden zu wollen, wenn sie nur ihre Verteidiger loswerden würde. Auf diese Manipulation wird sich das Gericht aber nicht einlassen.

Kommentar von Annette Ramelsberger

Falco K. beschreibt die Person, die auf ihn geschossen hat, als eher schmächtig. Einer der anderen beiden Flüchtenden soll recht groß und muskulös gewesen sein. Der Zeuge hatte Glück, dass ihm nichts passierte und ihn keine der Kugeln traf. Er sagt, er habe anschließend als junger Mann den Dienst an der Waffe verweigert und lieber Zivildienst geleistet. Ihm sei erst später und mittlerweile immer deutlicher bewusst geworden, dass er damals hätte sterben können.

Der Nebenklage-Anwalt Alexander Hoffmann sagt nach der Befragung, die Zeugenaussage sei sehr bedeutsam, weil sie die extreme Gewaltbereitschaft der Kernmitglieder des NSU bereits für das Jahr 1998 belege.

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