NSU-Prozess:Der Mann, der angeblich nichts gesehen hat

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Der NSU erschießt den Betreiber eines Internetcafés in Kassel. Ein Mitarbeiter des hessischen Verfassungsschutzes sitzt im selben Raum - will aber nichts bemerkt haben. Kaum zu glauben, finden nicht nur die Anwälte des Mordopfers.

Von Annette Ramelsberger

Andreas T. war, so sagt er es, zur falschen Zeit am falschen Ort. Er, ein Mitarbeiter des Verfassungsschutzes Hessen, der selbst V-Männer führte, war genau in dem Moment in einem Internetcafe in Kassel, als dort der Sohn des türkischen Besitzers von der Terrorgruppe NSU ermordet wurde. Das war im April 2006. Und das Eigenartigste: Der Verfassungsschützer will davon nichts mitbekommen und die Leiche in dem kleinen, beengten Laden nicht gesehen haben. Obwohl er 1,90 Meter groß ist und der Tote hinter einem niedrigen Tisch lag. Und auch die Blutspritzer auf dem Tresen habe er nicht wahrgenommen.

Aus den Ermittlungsakten ergibt sich, dass selbst viele seiner Kollegen und vor allem die Polizei in Hessen dem Verfassungsschützer seine Ahnungslosigkeit nicht abnahmen. Denn der Mann hatte sich auch nach dem Mord nicht als Zeuge gemeldet.

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Kein anderer Zeuge im NSU-Prozess wurde so oft befragt

Nun wird immer deutlicher, dass auch das Münchner Oberlandesgericht an der Darstellung von Andreas T. zweifelt. Viermal bereits musste der Mann im NSU-Prozess in München aussagen - nun hat ihn der Vorsitzende Richter Manfred Götzl für den 17. Juni erneut geladen, zum fünften Mal. Kein anderer Zeuge im NSU-Prozess wurde so oft, so eingehend und so bohrend befragt wie der Mann, der angeblich nichts gesehen hat.

Die Anwälte der Familie des Kasseler Mordopfers Halit Yozgat hatten vor kurzem die Befragung einer ganzen Reihe von hessischen Verfassungsschutzverantwortlichen beantragt, die damals die Aufklärungsarbeit der Polizei behinderten - bis hinauf zum damaligen Innenminister und heutigen Ministerpräsidenten Volker Bouffier. Auch ihn wollten die Anwälte als Zeugen hören, bisher hat das Gericht ihn aber nicht geladen.

Was wusste die Ehefrau über die Plastiktüte?

Dafür muss der damalige Geheimschutzbeauftragte des Verfassungsschutzes nun vor Gericht aussagen. Er hatte Andreas T. geraten, "möglichst nah an der Wahrheit zu bleiben". Und nicht etwa, er solle bei der Wahrheit bleiben. Für viele Nebenkläger ein klares Zeichen, dass hier etwas vertuscht werden sollte.

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Zum ersten Mal soll nun auch die Ehefrau von Andreas T. vor Gericht aussagen. Sie soll erklären, was sie über eine schwere Plastiktüte wusste, die ihr Mann angeblich am Tatort dabei hatte. Die Plastiktüte ist deswegen so interessant, weil die Täter des NSU ihre Pistole oft in einer Plastiktüte mitbrachten und durch sie hindurch schossen. Dadurch wurden auch die Patronenhülsen aufgefangen. Die Frau des Verfassungsschützers soll nun am 25. Juni aussagen.

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