Nordrhein-Westfalen:Diebe ohne Perspektive

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Der Kölner Bahnhof war Schauplatz der Übergriffe an Silvester. Am Bahnhof Düsseldorf dagegen ist laut Polizei der Rückzugsraum für viele Kriminelle. (Foto: Oliver Berg/dpa)

Seit Jahren wandern junge Nordafrikaner zu, die in kriminelle Kreise geraten.

Nach den Übergriffen auf Frauen in der Silvesternacht hält es der Chef des Bundeskriminalamts, Holger Münch, für möglich, dass sich Täter verabredet haben. Die Verdächtigen seien "aus dem überregionalen Raum" gekommen, sagte Münch in einem Radiointerview. "In der Regel läuft so etwas über Verabredungen in sozialen Netzwerken." Von organisierter Kriminalität will er aber nicht sprechen. Die besitze eine andere Qualität, etwa geschlossene oder hierarchisch strukturierte Tätergruppen. Derzeit würden alle Fakten zu gleich gelagerten Fällen aus den Bundesländern sowie aus dem europäischen Ausland zusammengetragen. Es gebe erste Rückmeldungen aus Schweden, Österreich und der Schweiz.

Unter den Verdächtigen der Kölner Silvesternacht sind Marokkaner in der Mehrheit. Die Kölner Polizei hat schon lange eine Gruppe von Taschendieben im Blick, die seit 2011 vor allem aus Algerien, Tunesien und Marokko stammen. "Seit 2014 begehen diese Täter mit einem stark ansteigenden Trend auch andere Delikte im Bereich der Eigentumskriminalität", belegt ein interner Bericht. Eine Aufschlüsselung der Tatverdächtigen hat demnach ergeben, "dass lediglich 0,5 Prozent der syrischen Zuwanderer innerhalb eines Jahres Straftaten begangen haben, während diese Quote bei den Nordafrikanern bei etwa 40 Prozent liegt". Die Zahl bezieht sich auf Personen, die wegen illegalen Aufenthalts in Deutschland erfasst sind und dann erneut straffällig wurden. Im Jahr 2015 wurden in Köln 1947 nordafrikanische Tatverdächtige ermittelt. Zu den Straftaten gehören spätestens seit Silvester auch "massenhafte sexuelle Übergriffe", die im arabischen Raum "taharrusch dschamai" heißen.

Bevor sie gehen müssen, wollen sie möglichst viel Geld zusammenbekommen

"Das waren unsere Leute", sagt ein Marokkaner, der in der Silvesternacht im Kölner Bahnhof war. Ermittler bestätigen: Diebesbanden handelten abgestimmt und verstünden sich blind. Das könne auch am Silvesterabend der Fall gewesen sein. Ihnen zufolge gerieten Zuwanderer aus den Maghreb-Staaten, die mit der Absicht kommen, Geld für ihre Familie zu verdienen, in Nordrhein-Westfalen häufig in kriminelle Strukturen. Typisch dafür sei etwa das sogenannte Maghreb-Viertel am Düsseldorfer Hauptbahnhof. Hier habe sich Ermittlern zufolge ein "soziales, kulturelles und wirtschaftliches Zentrum gebildet", ein Rückzugsraum für Taschendiebe, Straßenräuber und Einbrecher. Bereits im Juni 2014 hatte die Polizei ein Projekt eingerichtet, in dem die Beamten die kriminellen Strukturen von inzwischen mehr als 2200 Verdächtigen analysierten.

Die Kriminalpolizei beobachte zudem immer häufiger, wie kriminelle Banden gezielt Neuankömmlinge in Flüchtlingsheimen anwerben, heißt es aus Ermittlerkreisen. In einigen Heimen in Nordrhein-Westfalen wurden mittlerweile Handys gefunden, die am Silvesterabend in Köln geraubt wurden.

Nach Angaben von Innenminister Ralf Jäger hat der Zuzug aus nordafrikanischen Ländern in den vergangenen Monaten massiv zugenommen. Im Dezember waren Marokkaner erstmals unter den Top fünf der Flüchtlingsgruppen. Bei marokkanischen und tunesischen Familien werde oft der älteste Sohn ausgewählt, um nach Deutschland zu reisen, wo er innerhalb kurzer Zeit das Geld für die Schleuser verdienen müsse, sagt Jäger. Samy Charchira, Mitglied der Deutschen Islamkonferenz und im Landesvorstand des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes NRW, beobachtet, dass seit drei bis vier Jahren mehr Jugendliche aus den Maghreb-Staaten in Deutschland ankommen. Viele von ihnen landeten früher oder später in Köln oder Düsseldorf. "Diese Jugendlichen suchen Anschluss, sie können kein Deutsch und wissen nicht, wohin", sagt Charchira. Deshalb ziehe es sie in die großen Städte von NRW. Die meisten hätten dort zwar keine direkten Bekannten, fänden aber immerhin Menschen, die die gleiche Sprache sprechen. Manche der Ankommenden würden auch die derzeitigen Flüchtlingsströme nutzen, um illegal nach Deutschland einzureisen, sagt Charchira.

Denn während gerade in NRW viele Nordafrikaner der Gastarbeitergeneration schon lange "extrem gut integriert" lebten, kämen die Jüngeren gar nicht direkt aus Marokko, sondern über andere EU-Staaten wie Italien und Spanien, wo sie sich bereits eine Zeit lang durchgeschlagen hätten. Der FDP-Bundesvorsitzende Christian Lindner wirft der Landesregierung vor, dieser Gruppe keine Integrationsangebote gemacht zu haben. "Es handelt sich um einen besonderen Personenkreis allein reisender Männer", sagt er. "Um die muss man sich doch kümmern."

Dabei sind die Chancen, als Marokkaner Asyl zu bekommen, gleich null. Wenn diese Bewerber abgelehnt werden, ist ihre Abschiebung allerdings oft schwierig - auch weil die marokkanische Botschaft nicht gerade kooperativ ist. Die Überweisungen aus Deutschland sind ein Wirtschaftsfaktor in Marokko. So sind den Jugendlichen oft einige Jahre Deutschland sicher, und der Druck sei groß, dass sie nicht mit leeren Händen zurückkehren, sagt Charchira. "Sie wissen, dass sie früher oder später gehen müssen - vorher wollen sie möglichst viel Geld zusammenbekommen."

© SZ vom 13.01.2016 / BED, KJAN, KLU - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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